Das Mal der Schlange
dass das so einfach ist, hätte ich dich schon an Alastairs Brunnen gefragt!“ Er stellte sie ab und holte eine große Schachtel aus dem Ankleidezimmer.
„ Ich habe ein paar Kleider für dich anfertigen lassen.“
Sie hob ein schwarzes Spitzenkleid und ein graublaues Seidenkleid aus dem Karton. Das helle Kleid hatte die Farbe ihrer Augen und sie wusste, sie würde umwerfend darin aussehen. Aber jetzt noch nicht. Die richtige Zeit dafür würde kommen, wenn das schwarze Kleid seine Pflicht getan hatte. Nach Jacobs Beerdigung.
„ Ich hoffe, sie passen“, er wirkte verlegen, „Ich musste deine Masse nehmen, während du schliefst und meine Finger waren dabei etwas zittrig.“
Fasziniert schüttelte sie den Kopf. Die Kleider waren exquisit und als sie in das schwarze schlüpfte, passte es perfekt.
„ Wunderschön!“ Er spürte Emmalines volle, weiche Lippen auf den seinen. „Ich danke dir.“
„ Dein Kleid war durch die Glasscherben so zerschnitten, dass es nicht mehr zu nähen war.“
Er schob sie auf Armeslänge von sich weg.
Sie blickte ihn entschlossen an und nickte. „Ich bin soweit“, sagte sie.
11..
Nathaniel ging vor ihr die schmale Treppe hinunter, die sich hinter einer geheimen Tür in der Westwand seines Schlafzimmers verbarg. Emmaline folgte ihm vorsichtig, den Saum des neuen Kleides anhebend. Das Schwarz ließ ihre hellen Augen und ihr blondes Haar strahlen und der Stoff war leicht wie eine Feder.
Er hatte die Tür hinter sich sorgfältig geschlossen und nur die Kerze in seiner Hand erhellte die steinernen Stufen. Sie vermutete, dass er den Weg viele Male gegangen war, denn sein Schritt war sicher und er hielt ihre Hand fest in der seinen, damit sie nicht stolperte.
Immer weiter wanden sich die Stufen in einem engen Kreis hinunter in die Tiefe und gingen schließlich in einen geraden Gang über. Die Luft war kalt und feucht.
An seinem Ende gab Nathaniel ihr die Kerze, um eine schwere eiserne Tür aufschließen zu können. Der Schlüssel machte keinerlei Geräusch im Schloss und die Türe ließ sich mühelos öffnen.
Er nahm ihr die Kerze wieder ab und stellte sich so vor sie, dass hinter ihm vollkommene Dunkelheit lag.
„ Emmaline, ich frage dich nun ein letztes Mal und möchte, dass du deine Antwort gut überlegst.“
Sie nickte stumm.
„ Bist du dazu bereit, dein altes Leben hinter dir zu lassen, dich selbst zu befreien und einen Menschen zu töten, der es verdient hat zu sterben? Bist du bereit, den Preis dafür zu zahlen?“
„ Das bin ich“, sagte sie mit fester Stimme. Sie hatte keine Angst.
„ Dann tritt über die Schwelle“, damit gab er den Weg frei.
Ohne zu zögern ging sie hinein in die Dunkelheit. Er schloss wiederum die Tür hinter ihnen beiden und sie wartete ab, bis er mit der Kerze die Leuchter an der Wand entzündet hatte, bevor sie sich umsah.
Obwohl der Gang draußen eisig kalt gewesen war, war die Luft hier angenehm warm und trocken.
Sie standen in einem hohen kreisrunden Raum, dessen Decke ein dunkelblaues Gewölbe mit unzähligen aufgemalten gelben Sternen bildete. Es sah aus, als wäre der Nachthimmel über ihnen.
In die runden Wände waren Bücherregale eingearbeitet, die eine riesige Bibliothek beherbergten. Buchrücken reihte sich an Buchrücken, vom Boden bis hoch hinauf zu dem Punkt, an dem die Wand sich in die Deckenkuppel wölbte.
Unterbrochen wurden die Regale nur von acht massiven Säulen, die in gleichmäßigen Abständen ebenfalls in die Wände eingelassen waren und eiserne Leuchter trugen. Jede Kurve des Raumes war in helles, weiches Licht getaucht.
Nathaniel hatte sich an einen zierlichen, über und über mit kunstvollen Schnitzereien verzierten Tisch in der Mitte des perfekten Kreises gesetzt und wies stumm auf den freien Stuhl ihm gegenüber.
Als Emmaline Platz nahm spürte sie, dass sich ihre Knie unter der kleinen Tischplatte berührten.
Neben seiner rechten Hand lag ein antiker silberner Dolch, neben seiner linken etwas, das aussah wie eine Art Siegelring.
„ Was bist du, Nathaniel?“, stellte sie ihm nochmals die Frage, deren Antwort alles verändern würde.
Er lehnte sich zurück und schloss kurz die Augen.
„ Ich gehöre zu einem sehr alten Volk. Übersetzt bedeutet unser Name „Zeitjäger“, aber unsere Sprache gibt es auf der Welt schon seit vielen Jahrhunderten nicht mehr. Natürlich nennen uns die Menschen in ihren Geschichten anders“, er schnaubte verächtlich, „Blutesser, Untote, Geißel Gottes…Glaubst
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