Das Mal der Schlange
dem Bett und ließ seine Augen über ihren verletzten Körper wandern. Niemals wieder würde jemand Hand an sie legen, dafür würde er sorgen bis zum Ende seiner Tage.
Emmalines Verletzungen verheilten zwar langsamer als erwartet, aber sie infizierten sich nicht.
Sie war sehr froh darüber, wieder etwas anziehen zu können, nachdem sich die Wunden auf ihrem Rücken schließlich geschlossen hatten.
Nathaniel hatte ihr verschiedene leichte Kleider gekauft, die nur locker auf den frisch gebildeten Krusten lagen und er schien erleichtert darüber zu sein, nicht mehr ständig auf ihre Nacktheit sehen zu müssen, wenn er mit ihr sprach.
Sie blieb die meiste Zeit über in ihrem Zimmer. Nur abends, wenn sich die Dienerschaft zurückgezogen hatte, kam sie nach unten und spielte für Nathaniel auf dem Klavier, leistete ihm bei den Mahlzeiten Gesellschaft oder sie führten endlose Gespräche vor dem Kamin im Arbeitszimmer.
Sie fing an, den Mann hinter dem beinahe unwirklich schönen Gesicht und den perfekten Umgangsformen kennen zu lernen.
Sie erfuhr, dass er zweiunddreißig Jahre alt war, finanziell unabhängig, und dass er seit einigen Jahren in London lebte. Aber wann immer sie ihn nach seiner Familie oder seiner Herkunft fragte, wurden seine Antworten vage und ausweichend.
Emmaline beschloss ihn nicht weiter zu drängen. Wenn er dazu bereit war, würde er es ihr sicher eines Tages erzählen.
Auch über seinen Gefühlsausbruch am Tag ihrer Ankunft hatten sie nie wieder ein Wort verloren. Es war, als hätte er nie stattgefunden.
10.
In einer kalten Nacht im November wachte Emmaline aus einem traumlosen Schlaf plötzlich auf. Das Zimmer war dunkel und ruhig und sie wusste, dass sie nicht durch ein Geräusch geweckt worden war.
Sie stand auf und ging die Treppe hinunter.
Aus dem Arbeitszimmer drang ein schwacher Lichtschein durch die nur angelehnte Tür.
Sie schob sie mit einer Hand auf und sah Nathaniel am Kamin vor dem Feuer sitzen. Die herunter gebrannte Glut tauchte ihn in ein warmes Licht, um ihn herum lag Dunkelheit. Er blickte nicht auf.
Barfuß ging sie über den dicken Teppich auf ihn zu und blieb vor ihm stehen.
Unvermittelt streckte er beide Arme aus und zog sie zu sich heran, legte den Kopf an ihren Bauch und hielt sie fest an sich gedrückt.
Durch den dünnen Stoff ihres Nachthemdes konnte sie die Wärme seines Gesichts spüren und sie wusste, dass er ihren Herzschlag hören konnte. Sein Atem ging langsam und gleichmäßig. Sie fühlte seine Traurigkeit.
Sanft fuhr sie mit beiden Händen durch sein Haar und hob sein Gesicht zu sich hoch, um ihn anzusehen. Das Grün seiner Augen war dunkel und die goldenen Strahlen leuchteten nicht.
„ Es ist alles verheilt“, flüsterte sie, „Die Krusten sind abgefallen und meine Haut ist wieder glatt.“
Langsam ließ er seine Hände nach unten über ihre Beine wandern bis zum Saum des Hemdes und dann darunter wieder nach oben zu ihrem Rücken. Mit den Fingerspitzen tastete er vorsichtig Stück um Stück die neue Haut zwischen ihren Schulterblättern ab.
„ Das ist richtig“, sagte er leise. Dann legte er seine Handflächen darauf und drückte sie erneut kurz an sich, bevor er sich zurück zog und mit einem gequälten Gesichtsausdruck in den Stuhl sank. Er schien soweit wie möglich von ihr abrücken zu wollen.
Emmaline bemerkte erst jetzt, dass sie während seiner Berührung den Atem angehalten hatte und stieß nun die Luft mit einem langen Zug aus.
„ Es tut mir leid. Ich werde gehen und deine Gastfreundschaft nicht länger beanspruchen. Du hast viel genug für mich getan.“
„ Nein!“, seine Stimme hallte durch den Raum als er aufsprang.
„ Ich bereite dir Unannehmlichkeiten.“
„ Das tust du nicht!“
„ Aber du bist wütend und findest mich irritierend.“
„ Ich bin nicht wütend und irritierend ist weiß Gott nicht das richtige Wort!“
„ Was ist es dann?“
Er schüttelte nur stumm den Kopf.
„ Außerdem gibt es keinen Grund für mich, hierzubleiben“, fuhr sie leise fort, „Ich bin gesund und kann mich nicht länger bei dir vor ihm verstecken.“
„ Nun, DAS macht mich wütend!“, stieß er zwischen den Zähnen hervor, „Es gibt also keinen Grund, bei mir zu bleiben?“
„ So habe ich es nicht gemeint!“
„ Ich gestehe dir meine Liebe und du findest keinen Grund, bei mir zu bleiben! Du bist nicht irritierend, du machst mich wahnsinnig! Seit Wochen versuche ich herauszufinden, ob du meine Gefühle erwiderst –
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