Das Mal der Schlange
Handgelenks. Ein stechender Schmerz ließ sie zusammenzucken. Tausend winzige Nadeln bohrten das Mal in ihre Haut: zwei Schlangen, die sich gegenseitig verzehrten, die eine wunderschön, die andere schrecklich. Gut und Böse im ewigen Kreislauf, sich zerstörend und wieder gebärend.
Dann standen sie beide auf, der Dolch lag plötzlich in seiner Hand. Mit einer eleganten Bewegung umrundete er sie und öffnete dabei schnell und mühelos die Schlagader in ihrem Hals.
Blut schoss daraus hervor und Emmaline war zu erschrocken, um Schmerz zu spüren. Ihre Hand fuhr nach oben und sie fühlte den warmen Strahl durch ihre Finger laufen, über den Kragen ihres Kleides, sie wurde benommen.
Als sie glaubte, sich nicht mehr auf den Beinen halten zu können, trat Nathaniel vor und umfing sie mit einem starken Arm. Mit der anderen Hand bog er ihren Kopf nach hinten und hauchte ihr seinen Atem ein. Ein kühler weißer Luftstrahl verließ seinen Mund und strömte direkt in den ihren. Er löschte das Brennen in ihrer Kehle und erfüllte jede ihrer Zellen mit unbändiger Kraft und Energie. Im Grau ihrer Augen entzündete sich ein silberner Flammenkranz.
Sie zog sein Gesicht mit beiden Händen zu sich heran, um noch mehr einatmen zu können, aber er stieß sie von sich weg und taumelte zurück. Bevor er erschöpft auf den Stuhl sank, verbeugte er sich vor Emmaline, ihr die linke Handfläche zuwendend, so dass sie auf der Innenseite seines Handgelenks das Zeichen der Schlange sehen konnte.
„ Du bist jetzt eine von uns, Emmaline und für den Moment sehr stark, aber es wird nicht lange anhalten“, flüsterte er erschöpft.
„ Die Jäger haben deine Lebenszeit angenommen und du musst dir neue beschaffen, so lange meine Kraft in dir ist.“
Ihre Finger betasteten vorsichtig die Wunde an ihrer Kehle. Sie war vollkommen verheilt. An ihrer Stelle fühlte sie eine kleine harte Narbe. Das Blut war ebenfalls verschwunden. Nathaniels Kraft pulsierte durch ihre Adern.
„ Danke“, flüsterte sie, dann drehte sie sich um, öffnete die schwere Eisentür und lief nach oben.
12.
Unbemerkt erreichte sie in wenigen Augenblicken Jacobs Haus. Mühelos war sie durch die nächtlichen Straßen Londons geeilt, viel zu schnell für eine Frau, aber trotzdem hatte sie niemand wahrgenommen.
Sie schlüpfte durch ein offenes Fenster in die Küche und glitt lautlos hinauf in das erste Stockwerk. Am Ende des Ganges öffnete sie die Tür zu seinem Schlafzimmer und trat auf das Bett zu, in dem er schlief. Einen Moment lang hielt sie inne, um ihn zu betrachten.
Sein schütteres Haar klebte in feuchten Locken auf der hohen Stirn und die blasse, gräuliche Haut seines Gesichts war von einer dünnen Schweißschicht überzogen. Die schmalen Hände mit den langen, spinnenartigen Fingern, die ihr so viel Schmerz zugefügt hatten, lagen schlaff auf der Bettdecke. Er sah erbärmlich aus, widerlich und abstoßend, nicht wissend, dass sie über ihm stand. Die Zeit war endlich gekommen, ihm zu zeigen, dass seine Grausamkeit nicht ungestraft bleiben würde.
Sie nahm den Spazierstock mit dem schweren Silberknauf, der am Fuße des Bettes lehnte und schlug ihm damit hart auf den Kopf. Er war bewusstlos noch bevor er aufwachen konnte.
In der linken oberen Schublade des Schreibtisches fand sie die vier Lederriemen – sie wusste nur zu gut, wo er sie aufbewahrte.
Mit ihrer neuen Kraft zog sie ihn unsanft aus dem Bett, entkleidete ihn, knebelte ihn und legte ihn mit dem Gesicht nach unten über den Schreibtisch. Seine gespreizten Beine fesselte sie mit zwei der Lederriemen an die Füße des Tisches, bevor sie auch seine Arme einspannte und an den gegenüberliegenden Tischbeinen festzurrte. Dann setzte sie sich in den Schreibtischsessel. Sie musste nicht lange warten bis er zu sich kam.
Jacob öffnete die Augen und drehte wütend den Kopf zur Seite, um besser sehen zu können. Aus der Wunde auf seiner Stirn floss Blut und sein Kopf schmerzte.
Als er Emmaline in seinem Stuhl sitzen sah, zerrte er an seinen Fesseln und grunzte zornig.
„ Gib dir keine Mühe, Jacob“, ihre Stimme war wie Samt, „In vielen bitteren Nächten konnte ich feststellen, dass das Leder wirklich sehr stabil ist und nicht nachgibt, egal wie fest du daran ziehst. Aber genau aus diesem Grund hast du es schließlich verwendet, nicht wahr?“
Sie stand auf und beugte sich zu ihm. „Jetzt siehst du, was ich immer gesehen habe“, flüsterte sie in sein Ohr als sein Blick panisch über die Wand
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