Das Mal der Schlange
wieder auf. „Sie wurde für tot erklärt, aber das Meer hat ihren Körper nie frei gegeben. Und wir waren alle nur zu bereit gewesen der Polizei zu glauben…“
„ Selbstverständlich ist sie tot!“ beharrte Amelia. „Wenigstens sollte sie das sein…“
In diesem Moment löste sich die Frau aus dem Schatten des Baumes und trat hinaus in den brennenden Sonnenschein. Ihre dunkle Kleidung schien das Licht aufzusaugen als sie langsam über den Kiesweg auf die kleine Gruppe zu ging.
Die Trauergesellschaft wich unwillkürlich auseinander und bildete einen weiten Korridor, der den Blick auf das Grab mit dem Sarg darin frei gab.
Jetzt fiel auch dem Priester auf, dass etwas nicht nach Plan lief. Er verstummte und hob den Kopf als die Frau vor dem Loch in der Erde stand.
Sie hielt einen Moment inne, sah auf den Sarg hinunter und ließ eine weiße Rose ins Grab fallen, dann drehte sie sich auf dem Absatz um und flüsterte im Weggehen „Ich warte am Ausgang auf euch, wir müssen reden.“ Als sie die erstarrten Gesichter sah, fügte sie hinzu „Kommt schon, ihr dachtet doch nicht wirklich, ich sei tot?“
Noch immer bewegte sich keiner der Anwesenden, es schien sogar, als hätten sie aufgehört zu atmen und in der flirrenden Hitze des Sommertages, liefen ihnen kalte Schauer über den Rücken.
2.
1899
Oxfordshire
England
St. Mary´s Church lag im Sonnenlicht, der hellgraue Stein leuchtete beinahe weiß. Es war Sonntag. Die Menschen strömten aus dem dunklen Inneren der Kirche hinaus ins Licht.
Henley on Thames war ein kleiner Ort. Die meisten Kirchenbesucher kannten sich und schnell bildeten sich Grüppchen und Gruppen. Die einen verfielen direkt vor dem Portal in angeregte Gespräche, die anderen machten sich auf den Weg in den Pub die Dorfstraße hinauf, um sich ein sonntägliches Glas Ale zu gönnen. Und die Honoratioren stiegen in ihre Kutschen und Einspänner, um sich zurück auf ihre Landsitze fahren zu lassen, wo die Dienerschaft bereits mit dem Lunch wartete.
„ Was für ein herrlicher Tag!“ rief Amelia.“Lasst uns schnell los fahren!“ Sie zog Nicholas in Richtung des Landauers, auch die anderen folgten ihr, John und Charlotte, Louise und Robert. Emmaline trat hinaus auf die Straße und wartete, dass Roberts Kutscher neben ihr hielt. Ihr Mann Jacob befand sich noch in Indien. Emmaline war deswegen nicht traurig. Sie hatten im vergangenen Jahr geheiratet und kurz darauf war Jacob zu seinem Regiment abberufen worden.
Er hatte eines Tages vorgesprochen, nachdem sie ihm kurz vorher auf einem Ball vorgestellt worden war und Emmalines Eltern hatten ihn für standesgemäß und geeignet gehalten. Nach Emmalines Meinung war nicht gefragt worden, er war immerhin eine hervorragende Partie – Offizier und Aristokrat - und würde nur noch acht Monate bei seinem Kommando sein. Details und Mitgift waren ausgehandelt worden und man hatte sie verheiratet. Anfangs hatte man sogar überlegt, ob Emmaline ihren Mann begleiten sollte, dann aber entschieden, dass es besser wäre, wenn sie zu Hause bliebe und die Renovierung von Jacobs Stadthaus in London beaufsichtigte. Durch das Vermögen von Emmalines Familie war es nun möglich, das Haus nach seinen Vorstellungen zu gestalten.
In den letzten Wochen hatte sie Unmengen von Möbeln, Teppichen, Porzellan und Gemälden besichtigt – ausgewählt hatte er es noch vor seiner Abreise – und Liefertermine vereinbart. Jetzt blieb ihr nichts anderes übrig als abzuwarten, bis die Umbauarbeiten beendet sein würden, all die schönen neuen Möbel und Bilder ihren Platz gefunden hätten und Jacob im März endlich heim kommen würde.
Wann immer Emmaline über Jacobs Heimkehr sprach, benutzte sie das Wort „endlich“.
In Wirklichkeit jedoch sah sie seiner Rückkehr nicht sehr optimistisch entgegen. Die Verwendung des Wortes „endlich“ in diesem Zusammenhang schien ihr sogar ganz und gar unpassend, aber wenn sie in Gesellschaft über ihren Mann sprach und den Ausdruck „dann kommt er endlich nach Hause“ fallen ließ, reagierte ihr Gegenüber erfreut und lächelte, denn so sollte es schließlich sein. Die junge Ehefrau sieht der Heimkehr ihres Mannes ungeduldig entgegen - und Schein und Etikette mussten um jeden Preis gewahrt werden.
„ Du freust dich nicht auf ihn“, Louises Feststellung unterbrach Emmalines Gedanken. Wegen des herrlichen Wetters fuhren sie offen und Louises Hut wippte im Wind. Es war zwecklos, ihr etwas vorzumachen.
„ Nein, das tue ich
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