Das Mal der Schlange
war, legte ihre Hand auf Emmalines.
„ Ich weiß, es ist nicht einfach. Du kennst ihn kaum und trotzdem ist er dein Mann.“
Emmaline schluckte. „Es wird schon gut werden.“
„ Natürlich wird es das!“ Amelia stellte mit einem Klirren ihre Tasse auf die Untertasse zurück. „Und wenn nicht, ziehst du zu Nicholas und mir. Wenn du ihn nicht magst, musst du nicht bei ihm bleiben!“
„ Wenn das nur so einfach wäre“, seufzte Emmaline, „Wir wissen alle, dass das niemals in Frage kommt. Was würden die Leute sagen? Undenkbar! Ich werde wohl mein Bestes geben müssen, um mich mit ihm zu arrangieren“, angeekelt schob sie den Teller mit den Sandwiches von sich weg.
„ Ihr drei liebt eure Männer - und so sollte es auch sein! Wieso habe ich nur nie jemanden getroffen, der mich halbwegs interessiert hätte? Dann wäre ich sicher nicht so dumm gewesen und hätte mir die Ehe mit diesem Kretin einreden lassen!“, stieß sie leise hervor. „Und nun muss ich für diesen Fehler bezahlen bis ans Ende meiner Tage!“
„ Emmaline!“ Amelias Stimme klang erschrocken, „Wir wussten nicht, dass du ihn derart abscheulich findest!“
„ Ihr wart auch nicht in meiner Hochzeitsnacht dabei“, Emmaline ließ den Blick wieder sinken, um ihre Schamesröte zu verbergen, „Ich hasse ihn! Er tut mir weh!“
4.
1961
Las Vegas
USA
John und Charlotte waren der Meinung, es wäre besser Emmalines Bitte nach einem Gespräch zu ignorieren und die Vergangenheit ruhen zu lassen.
Nicholas und Amelia hingegen waren mehr neugierig als ablehnend und schließlich beschloss Amelia, die Sache in die Hand zu nehmen und ging voraus zum Ausgang des Friedhofs.
„ Wenn du möchtest, kannst du mit zu uns kommen. Es gibt Tee und Kuchen. Dann kannst du uns erzählen, was so wichtig ist, dass du wieder von den Toten auferstehst und dich nach all diesen Jahren plötzlich wieder an uns erinnerst. Und ich hoffe wirklich sehr, dass deine Geschichte gut ist.“
`Darüber mach dir keine Sorgen, meine Geschichte ist so gut, dass ich dir noch heute Nacht in deinen Träumen erscheinen werde`, dachte Emmaline.
Die beiden Senioren bewohnten einen großen Bungalow in einem reisbrettartig angelegten Wohngebiet, nicht weit vom Friedhof entfernt.
Im Vorgarten lief unablässig ein Rasensprenger, der dafür sorgte, dass die Qualität des Grases englischen Ansprüchen entsprach. In Beeten von militärischer Präzision blühten vor allen Häusern identische Blumen. Vermutlich kümmerte sich eine Gärtnerei um die Grünanlagen. Die einzelnen Häuser unterschieden sich nur durch die Farbe des Briefkastens in der Auffahrt und in der Art und Weise des Fußabstreifers, den wohl jede Familie selbst auswählen durfte. Trotz amerikanischer Gesichtslosigkeit wirkte die Siedlung nicht unangenehm. Nur unwirklich.
Das Haus war klimatisiert und kühl und als alle im Wohnzimmer Platz genommen hatten, brachte Amelia wie versprochen Tee und Kuchen.
„ Mein Gott, wie lang ist das her“, Emmalines Stimme klang leise hinter ihrem Schleier hervor. Sie hatte weder den Hut abgenommen, noch die Handschuhe ausgezogen. „Ich dachte immer, so lange es Tee und Kuchen bei Amelia gibt, kann die Welt nicht untergehen und irgendwie wird alles gut. Das letzte Mal, an das ich mich erinnern kann, war Ende Neunzehnhundert, es gab Darjeeling und Zitronenkuchen, in einer anderen Welt…“
„ Am einundzwanzigsten Januar Neunzehnhunderteins, kurz nach Amelias fünfundzwanzigstem Geburtstag. Am Tag darauf warst du verschwunden“, verbesserte sie Nicholas.
„ Was willst du, Emmaline?“, in Johns Stimme lagen Wut und Feindseligkeit, „Wir haben dich begraben. Wir sind an deinem Grab gestanden, genau wie heute an Louises´. Nur war dein Sarg leer. Für uns machte das keinen Unterschied! Wir waren am Boden zerstört, als die Polizei uns sagte, dass du nach Land´s End gefahren wärst und dich von einer Klippe ins Meer gestürzt hättest und dass dein Körper wohl auf den Felsen zerschellt wäre und hinaus auf die offene See gespült worden wäre! Und nun sitzt du hier mit uns am Tisch. Nach einundsechzig verdammten Jahren!“
Amelia hatte Tränen in ihren Augen „Zuerst der arme Jacob, der eines so schrecklichen Todes starb - und kurz darauf du…“
„ Der arme Jacob?“, stieß Emmaline ungläubig hervor. „Das kann nicht dein Ernst sein! – Der arme Jacob? Ihr wusstet doch wie er war! Wie könnt ihr da noch Mitleid für ihn empfinden!“
Sie stand auf und trat an das
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