Das Marmorne Paradies: METRO 2033-Universum-Roman (German Edition)
ein Verwandter, ein Neffe für ihn, und der sieche Sergej wie ein begriffsstutziger, aber ehrlicher und aufrichtiger jüngerer Bruder … Max sah sich außerstande, einfach nur nüchtern seinen Auftrag zu erfüllen.
»Und wenn ich krepiert wäre?«, fragte Sergej und lief rot an. »Hättest du Denis tatsächlich diesem alten Blutsauger überlassen?«
Sergej deckte seinen Sohn, der ausgestreckt in seiner Koje lag, fürsorglich mit einer Wolldecke zu. Ein dünner Schweißfilm überzog die Stirn des Jungen, aber ansonsten atmete er friedlich.
»Ich … nein.« Max schüttelte den Kopf. »Jetzt, wo ich über alles Bescheid weiß, hätte ich dem Mann nicht mal einen Hund anvertraut.«
Der Vertrag war aufgehoben, und Wosnizyn hatte Max nichts mehr zu befehlen. Keiner traute sich, dem Angehörigen einer Spezialeinheit der Hanse irgendetwas zu befehlen. Alle behandelten ihn respektvoll und ein bisschen ängstlich. Die Menschen auf entfernten Stationen ebenso wie die Behörden. Der Einfluss der Hanse reichte bis weit in alle Zweige der Metro.
»Und was ist mit der Frau an der Perowo ?«, fragte Sergej schalkhaft. »Aber wenn du nicht darüber reden willst … Wer weiß, vielleicht handelt es sich um eine Herzensangelegenheit …«
»Das erzähl ich dir später«, antwortete Max. »Es gibt noch was Interessanteres.«
Während Sergej allmählich zu sich gekommen war, hatte Max Dina im Rahmen seiner Möglichkeiten verhört. Einen Teil seiner Fragen hatte die verletzte Frau einfach nicht beantworten wollen, aber alles in allem hatte sich doch ein einigermaßen zusammenhängendes Bild ergeben.
Dina war früher ebenfalls Söldnerin gewesen. Aber im Gegensatz zu Max, der auf Konterspionage gedrillt worden war, gehörte Dina zu den Leuten, auf die es die Konterspionage abgesehen hatte. Islamische Terroristen hatten sie zur Selbstmordattentäterin ausgebildet. Aber ehe sie zu einer Operation herangezogen werden konnte, trat das ein, was alle weiteren Kriege ein für alle Mal sinnlos machte: die Katastrophe. Dinas Kontaktleute waren umgekommen, und so blieb sie allein zurück, eine Marionette mit abgeschnittenen Fäden. Sie begann ihr eigenes Leben zu führen, zog ziellos durch die Metro, bis sie eines Tages Mowsar kennenlernte und sich mit ihm zusammentat.
Die beiden gründeten eine Familie, ihr Sohn wurde geboren.
Ruslan.
Dann gerieten sie in Gefangenschaft der Faschisten, doch es gelang ihnen zu fliehen – an sich schon eine unerhörte Verwegenheit. Aber zu ihrem Unglück töteten sie auf der Flucht ein hohes Tier, woraufhin ihnen die Faschisten in der ganzen Metro den Krieg erklärten und eine Belohnung auf ihre Köpfe aussetzten. Als die drei der ewigen Flucht vor ihren Jägern müde wurden, beschlossen sie, die Metro zu verlassen. Sie kundschafteten aus, wo die Hintergrundstrahlung angeblich am geringsten war, und hofften mit Allahs Hilfe in ihre Heimat zurückkehren zu können.
Doch ihr Plan scheiterte.
Als sie eines Nachts in einem mehrstöckigen verlassenen Haus untergeschlüpft waren, um dort die gefährlichen Nachtstunden zu verbringen, tauchten böse Menschen auf, die ihren Mann im Schlaf umbrachten, Dina vergewaltigten und den Sohn entführten.
»Sie haben ihren Sohn getötet, nicht entführt.« Max seufzte tief. »Aber sie will es einfach nicht glauben. Sie beharrt darauf, dass er entführt wurde. ›Er ist von dort geflüchtet‹, sagt sie immer. ›Schließlich ist er ein richtiger Mann.‹«
Einige Zeit streifte Dina mit verschiedenen Karawanen über die Oberfläche. Die Händler jagten sie überall schnell wieder fort: Sie war zu keiner Arbeit zu gebrauchen, die Männer wollten nichts mit ihr zu tun haben, fürchteten sie sogar – denn auch wenn sie gebrochen war, so hatte sie doch eine beängstigende Ausstrahlung.
Was genau es mit dem Hummelgift auf sich hatte, blieb im Dunkeln. Offenbar war sie irgendwann einmal im Frühjahr im Wald von einem ganzen Hummelschwarm angegriffen geworden. Allerdings war deren Gift zu dieser Zeit nicht tödlich. Dina hatte große Qualen ausgestanden und war lange krank gewesen, am Ende aber hatte sie überlebt. Seither fürchtete sie die Hummeln nicht mehr.
Als sie in der Kolonie gelandet war, nahm sie die Suche nach ihrem Sohn wieder auf.
Sergej hatte das Unglück selbst heraufbeschworen, indem er dafür gesorgt hatte, dass sie bleiben durfte, sich um sie gekümmert und sie schließlich zu seinem Sohn geführt hatte. Im Gegensatz zu den anderen Kindern hatte Denis
Weitere Kostenlose Bücher