Das Marmorne Paradies: METRO 2033-Universum-Roman (German Edition)
genau.
Wosnizyn, der alte Bock, wurde bald auf Dina aufmerksam und stieg ihr nach, wie eine Fliege dem Honig. Dina verabredete sich mit ihm im Tunnel, abseits fremder Augen, wollte ihn töten, überlegte es sich dann aber im letzten Augenblick anders und behielt ihn als Geisel. In ihrem Plan gab es jede Menge Varianten und Sicherheitsvorkehrungen, sie hatte sogar eine falsche Fährte vorbereitet … Kein Mensch handelt so raffiniert und planvoll wie ein Wahnsinniger.
Dabei wollte sie nur eines: mit ihrem Sohn zusammen sein.
Sie hatte Allah gebeten, dass er ihn ihr wiedergeben würde. Wenn auch nur für kurze Zeit. Allah hatte sie nicht erhört.
»Die arme Frau«, sagte Sergej.
Max sah ihn spöttisch an.
»Arm! Schau dir an, wie viele Menschen sie umgelegt hat! Und um ein Haar hätte sie deinen Jungen mitgenommen. «
»Wo ist sie jetzt?«
»Unter Verschluss«, entgegnete Max.
Sergej zögerte, überlegte, ob es sich lohnte, und fragte schließlich: »Kann ich sie sehen?«
Max zögerte mit der Antwort und schwieg mehrere Minuten.
»Was sträubst du dich?« Sergej blickte ihn fest an.
»Na gut, ich werde es versuchen …«, entgegnete Max mit knarrender Stimme.
In einem stickigen Raum an der Stirnseite des Saals direkt gegenüber dem Wachposten waren kleine Zellen für Ruhestörer eingerichtet. Die Soldaten an der Absperrung scherzten, dass sie auch noch als Gefängniswärter herhalten mussten, und ihr Schichtführer als Knastchef. Im Moment war das Gefängnis fast leer. In einer Zelle schlief auf einer hölzernen Bank ein abgerissenes, kleines Männchen und schnarchte. Es sah ganz so aus, als würde ihn seine Situation kein bisschen stören.
In der benachbarten Zelle war Dina untergebracht. Sie saß vollkommen reglos auf einer hölzernen Bank, ihre Arme hingen zwischen den Knien hinab, der Kopf war vorgebeugt. An ihrem linken Bein war unter dem Hosenbein eine Verdickung zu erkennen: ein Verband.
Während Max mit den Schlüsseln klapperte, den passenden ins Schloss steckte, ihn quietschend umdrehte und die Tür öffnete, hob sie kurz den Kopf und warf einen Blick auf ihre Besucher, ehe sie das Gesicht wieder hinter ihren langen dunklen Haaren verbarg.
Sergej trat ein und setzte sich neben sie auf die Bank. Max blieb an der Tür stehen.
Sergej schwieg einige Zeit.
»Verzeih mir«, begann er schließlich, »ich war grausam zu dir, dort im Tunnel. Ich hätte nicht sagen sollen, was ich zu dir gesagt habe.«
Sie schwieg, aber er konnte sehen, dass sie ihm aufmerksam zuhörte.
»Ich weiß«, fuhr er fort, »dass du dir den Tod gewünscht hast. Ich verstehe auch, warum, und ich bin dir nicht böse. Sei du mir auch nicht böse.«
Sie nickte kaum merklich.
»Ich habe nur eine einzige Frage«, sagte Sergej nach einer längeren Pause. Dabei rechnete er nicht ernsthaft mit einer Antwort. »In der Nacht, als du mit Jedis Karawane in die Kolonie gekommen bist, warum hast du da angefangen zu weinen, als wir über die Schokolade sprachen?«
Dina zuckte zusammen, schwieg jedoch.
Sergej blieb noch einige Minuten sitzen. Als er sicher war, dass von ihr nichts mehr kommen würde, stand er auf und machte einen Schritt auf die Tür zu.
»Zwei Tage vor seinem Tod«, sagte Dina plötzlich, »erzählte Mowsar Ruslan von Schokolade. Was für eine märchenhafte Köstlichkeit das ist … Dass es Milchschokolade und bittere Schokolade gegeben hat, solche mit Nüssen und Rosinen, weiße und schwarze, ja sogar Luftschokolade. Mein Junge … wollte sie so gern probieren, und ich habe ihm damals … versprochen, eines Tages welche aufzutreiben … Ich habe es versprochen, aber er …«
Sie verstummte, und ihr Kopf neigte sich noch tiefer. Sergej hatte das Gefühl, so etwas wie ein Schluchzen zu hören.
Ein Klumpen stieg in seiner Kehle auf. In dieser Sekunde verzieh er ihr endgültig.
»Ich wünsche dir von Herzen«, sagte er, wobei er sich nach Kräften um eine feste Stimme bemühte, »dass du für deinen zukünftigen Sohn oder deine zukünftige Tochter Schokolade auftreiben wirst …«
Als sie ins Zelt zurückkehrten, war Denis noch immer nicht bei Bewusstsein.
Max blickte Sergej aufmerksam an, verkniff sich aber jeden Kommentar. Sergej war auch so klar, dass Max sich an seiner Stelle niemals so verhalten hätte, wie er, Sergej, es getan hatte. Zum Teufel mit ihm.
Sein Tee war kalt geworden. Sergej hatte sich gerade vorsichtig am Fußende der Bettstatt niedergelassen, auf der sein Sohn lag, als Wosnizyn
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