Das Marmorne Paradies: METRO 2033-Universum-Roman (German Edition)
verstanden?«
»Verstanden …«, antwortete Tichon und schmunzelte kaum merklich.
»Und wehe, du spielst ein falsches Spiel mit uns.« Max war noch immer in Fahrt. »Meine Geduld ist verdammt groß, aber nicht endlos. Ich habe auch schon mal einen Plorg mit bloßen Händen erwürgt.«
Sie schwiegen.
»Wie geht es Anna?«, fragte Sergej. »Bessert sich ihr Zustand? «
»Heute Nacht hat sie gesprochen, zum ersten Mal seit fünf Monaten. Sie hat um Wasser gebeten. Und die Geschwüre fallen von ihrem Gesicht ab … Als ob sie nie dagewesen wären.«
Sergej nickte.
Als er am Vortag ins Zimmer gestürmt war und im schwachen Licht einer einzigen Petroleumlampe seinen Sohn auf dem Boden liegen gesehen hatte, hatte er befürchtet, dass Denis seine Kräfte überschätzt hatte und gestorben war. Er hatte den leichten, fast gewichtslosen Körper auf die Arme genommen und an sich gedrückt. Tiefer Kummer hatte ihn überwältigt, ihm die Kehle zugeschnürt, als er plötzlich einen leisen, schwachen Herzschlag wahrgenommen hatte. Der Junge war am Leben, Allmächtiger, er lebte noch! Seit diesem Moment, über vierundzwanzig Stunden schon, lag Denis bewusstlos auf drei Matratzen gebettet, fürsorglich mit dem väterlichen Pullover zugedeckt, und wurde von dem schweigsamen Angin und einer Talfrau bewacht.
Also hatte sein Sohn wirklich geholfen. Das bedeutete, dass er über eine Art heilende Gabe verfügte. Wenn Sergej genauer darüber nachdachte, war das nicht wirklich verwunderlich. In seiner Jugend, in der gesegneten Zeit vor der Katastrophe, hatte er viel über Heiler gelesen, über echte und vermeintliche. Und jetzt war sein eigener Sohn ein Heiler, und offenbar einer von außerordentlicher Kraft, wenn er als Zehnjähriger schon in der Lage war, die schreckliche Krankheit dieses Mädchens zu besiegen.
Umso wichtiger war es, die Metro zu erreichen, solange seine, Sergejs, Kräfte noch dafür ausreichten. Nur dort wäre Denis in Sicherheit, dort würde sich eine angemessene und sinnvolle Verwendung für seine Gabe finden lassen.
»Ich verstehe, woran ihr denkt«, sagte Tichon. »Macht euch keine Sorgen, ich werde euer Vertrauen nicht missbrauchen. Geht und ruht euch aus. Ich habe veranlasst, dass man neue Matratzen und Kissen sowie Petroleumlampen mit gereinigtem Petroleum in euer Zimmer bringt. Ich will, dass ihr die Zeit, bis das Kind aufwacht, so bequem wie möglich verbringt – im Rahmen unserer Möglichkeiten natürlich. Sobald der Junge zu Kräften gekommen ist, könnt ihr euch auf den Weg machen. Ich verspreche euch, dass ich die Dienste eures Heilers nicht mehr beanspruchen werde. Und dann … Gott weiß, vielleicht sehen wir uns ja eines Tages in der Metro wieder.«
Sergej und Max erhoben sich von ihren Sitzen.
»Ich bitte euch nur um eins«, sagte Tichon leise. »Passt auf die ›Angler‹ auf. Sie sind ein schrecklicher Feind. Die Wolfsratten sind dagegen friedliche Schoßhündchen.«
Sergej und Max tauschten einen Blick.
»Wer sind die ›Angler‹?«, fragte Max. »Diesen Namen höre ich zum ersten Mal.«
»Ich erzähle euch später mehr davon«, sagte Tichon.
»Er verheimlicht uns was«, bemerkte Max, während er und Sergej durch den Gang zu ihrem Zimmer zurückgingen. Entlang der Wände waren in gewissen Abständen Talmenschen postiert, jeder von ihnen mit einer Keule bewaffnet. Offenbar waren die Wachen noch verstärkt worden,
nachdem die Höhlenmenschen in der Nacht einen Angriff unternommen hatten, darunter auch auf den Keller, wo sich gewissermaßen das Hauptquartier der Talmenschen befand. Man befürchtete das Eindringen von Spionen, denn noch immer war nicht geklärt, wer die Fremden in der ersten Nacht aus ihrem Gefängnis gelassen hatte. Auch Sergej wusste es nicht. Aber er hatte einen Verdacht, der allerdings so wild war, dass er ihn mit niemandem teilen mochte.
Max fuhr fort: »Die Angler … Na, vermutlich will er uns einen Schreck einjagen und uns von unseren Plänen abbringen. Davon hätte er einen unmittelbaren Nutzen: Denis stünde zu seiner ungeteilten Verfügung …«
Sergej zuckte mit den Schultern. »Wozu braucht er ihn jetzt noch? Annas Zustand bessert sich stetig, sein Bein ist wieder in Ordnung, die neue Wunde ist nicht weiter gefährlich …«
»Was glaubst du denn! Jetzt erst recht! Wozu ist der Junge nicht alles gut. Sogar Handel kann man mit seinen Heilkünsten treiben! Verstehst du, wie’s dann aufwärtsgeht mit den Jungs hier? Aber der kann mich mal!« Lässig
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