Das Marmorne Paradies: METRO 2033-Universum-Roman (German Edition)
humpeln«, schnauzte ihn Max an.
Der Alte zuckte erschrocken zusammen, krümmte sich. Dann kniff er die Augen zusammen und setzte vorsichtig den linken Fuß auf, darauf gefasst zu stürzen … Sein Gesicht begann zu strahlen.
»Papa, ich möchte so gern schlafen«, bat der Junge noch einmal.
Man brachte sie zurück in das alte Zimmer, aber diesmal war es mit dickeren Matratzen ausgestattet, die sich als weicher und bequemer erwiesen.
Sergej hatte nicht die geringste Ahnung, welche Tageszeit es gerade war. Nachdem Denis sich hingelegt hatte, regte er sich noch ein paarmal und wurde dann ruhig. Die Männer schoben die Matratzen an die Wand und setzten sich schweigend. Keiner hatte Lust zu reden. Jeder von ihnen hing seinen Gedanken nach.
Sergej dachte daran, dass sie nun hier festsaßen. Möglicherweise war Tichon einst ein anständiger Kerl gewesen, aber auch ihn hatte das Leben gezwungen, sich anzupassen, und ihn vermutlich nichts Gutes gelehrt. Wer ein solches Wunder wie Denis in den Händen hielt, würde sich kaum von ihm trennen, ehe er nicht das letzte Quäntchen Kraft aus ihm gesogen hatte. Die Erwachsenen würde er entweder einsperren oder töten. Und Denis war noch jung
und schwach, der Junge würde nicht lange durchhalten. Sie mussten sich etwas einfallen lassen … ausbrechen, fliehen. Und sie durften nicht lange zögern, denn er selbst, Sergej, hatte auch nicht mehr viel Zeit …
Zweimal brachten ihnen finster aussehende, schmutzige Frauen Essen. Konserven – diesmal ohne Beigeschmack und fremde Gerüche – und Zwieback, dazu Tee, der so ähnlich wie früher schmeckte, wie der Tee, der man in seiner Jugend aus Teebeuteln aufgegossen hatte – Sergej erinnerte sich noch gut daran.
Max und Angin verputzten ihre Rationen im Handumdrehen. Sergej verspürte ebenfalls starken Hunger, aber seine Sorgen und Zweifel waren noch stärker. Er aß träge, ohne jeden Genuss. Von beiden Mahlzeiten ließ er etwa ein Drittel übrig. Beim ersten Mal übergab er den Rest Max, beim zweiten Mal bewahrte er ihn für den Moment auf, wenn sein Sohn aufwachen würde, denn die Frauen hatten nur für die wachen Gefangenen Essen gebracht.
In dem Raum gab es nach wie vor keinerlei Licht, aber die Augen der Männer hatten sich bereits so an die Dunkelheit gewöhnt, dass sie deshalb kein Unbehagen verspürten. Sergej döste vor sich hin, wachte immer wieder auf und blickte zu seinem Sohn hinüber. Der schlief. Reglos, ohne seine Lage zu verändern. Da es warm in dem Raum war, zog Sergej seinen dicken Wollpullover aus und deckte den Jungen damit zu.
Sergej wusste bereits im Voraus, was Tichon ihnen für einen Vorschlag machen würde. Wenn Denis versuchen würde, das Mädchen Anna zu heilen, so würde der Alte sie ziehen lassen. Und es war durchaus möglich, dass Denis
dazu bereit war … Aber reichten seine Kräfte dafür? Und in einer Sache war sich Sergej sicher: Tichon Ignatjewitsch würde sie nicht einfach freilassen, ganz gleich, ob es Denis gelänge, dem Mädchen zu helfen oder nicht. Sie würden in jedem Fall fliehen müssen. Sergej war klar, dass er darüber mit Max und Angin sprechen musste.
Tichon Ignatjewitsch kam persönlich zu den Gefangenen – mit festen, sicheren Schritten. Er wirkte sogar größer als bei ihrer ersten Begegnung. In der Hand hielt er eine Petroleumlampe.
»Wie spät ist es?«, fragte ihn Sergej.
»Sieben Uhr morgens … Ich wollte etwas mit euch besprechen …«
»Ich weiß schon, worüber Sie mit uns reden wollen«, sagte Sergej.
»Hm, ja …« Tichon Ignatjewitsch stand auf der Türschwelle und druckste herum. »Aber da das Kind schläft …«
»Das Kind schläft nicht.« Denis’ Stimme klang hell und rein, ohne eine Spur schläfriger Heiserkeit. Er schob den Pullover beiseite und erhob sich.
Verdammt, dachte Sergej. Genau das habe ich befürchtet!
»Sie möchten, dass ich nach Anna schaue, ob ich etwas für sie tun kann«, sagte Dennis wie zur Bestätigung und fuhr fort, ohne auf eine Antwort zu warten: »Bringen Sie mich zu ihr.«
Er ging an dem verblüfften Tichon vorbei und trat in den Gang. Auch Sergej, Max und Angin erhoben sich von den Matratzen und trabten hinter dem Jungen her.
Das Zimmer, in dem das Mädchen lag, war hell erleuchtet. An verschiedenen Stellen standen Petroleumlampen,
größere und kleinere, insgesamt nicht weniger als zehn Stück. Trotzdem war die Luft nicht von dem typischen ranzigen Geruch erfüllt, der einen säuerlichen Geschmack im Mund
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