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Das Marmorne Paradies: METRO 2033-Universum-Roman (German Edition)

Das Marmorne Paradies: METRO 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Das Marmorne Paradies: METRO 2033-Universum-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Kusnezow
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…«
    »Lass mich!«, schrie ihn die Frau unerwartet wütend, mit tiefer, heiserer Stimme an.
    Sergej war völlig verwirrt.
    »Ich wollte nur helfen …«
    »Zieh Leine«, sagte sie dumpf. »Hier fällt nichts für dich ab.«
    Einige der Männer aus der Karawane, die dem Gespräch gelauscht hatten, lachten hässlich auf.
    »Ich habe auch nichts nötig«, sagte Sergej trocken, erhob sich und kehrte zu seinem Platz zurück.
    Denis schlief fast immer traumlos. Eine Ausnahme machten nur jene seltenen, beängstigenden Phasen des Halbschlafs; dann glitt sein Bewusstsein wie auf Wellen dahin, die ihn manchmal in bodenlose Tiefe und manchmal bis an die äußerste Oberfläche der Wirklichkeit trieben. In diesen Träumen gab es Zimmer und endlose Flure mit grauen Wänden. Die Flure hatten keinen Anfang und kein Ende, Denis konnte rennen oder vor sich hinbummeln – aber es war ihm unmöglich, sie zu verlassen. Die Zimmer waren groß, ganz anders als ihr Wohnabteil, dabei jedoch finster, und die Wände lagen hinter einem fiesen weißlichen Nebel verborgen.
    Aus irgendeiner Ecke des Zimmers drangen nicht sehr laute, aber furchterregende Geräusche an Denis’ Ohr, ließen sein Blut in den Adern stocken. Unabhängig davon, ob er sich in seinem Traum im Flur oder im Zimmer befand, verließ den Jungen nie das Gefühl von Gefahr, das sich mit trauriger Hoffnungslosigkeit mischte: Wo auch immer du dich aufhältst, er wird dich finden – hüte dich!
    Zwei Wochen zuvor war Mama von einer ihrer regelmäßigen medizinischen Untersuchungen niedergeschlagen und blass zurückgekommen. Sie und Papa hatten flüsternd zusammengesessen, während Denis in dieser Zeit seine Hausaufgaben erledigen und anschließend lesen sollte. Aber »Robinson Crusoe« hatte er gründlich satt, und das zerlesene Büchlein mit den fehlenden Seiten, das von den Abenteuern des vorlauten Jungen Nimmerklug Ref. 2 handelte, machte ihn inzwischen nur noch wütend. Wo war denn diese Sonnenstadt? Hatte es sie überhaupt je gegeben? Diese Fragen, die Denis eine Weile lang stark beschäftigt hatten, waren
auf einmal hinfällig geworden. Sehr viel mehr interessierte ihn, worüber seine Eltern sich flüsternd unterhielten. Er begann zu lauschen .
    Wenn er gelauscht hätte, wie das normale Menschen taten, nämlich einfach nur anstrengt gehorcht hätte, so hätten seine Eltern das auf jeden Fall bemerkt, die Situation wäre beschämend für ihn ausgegangen, und sie hätten ihn auf den Flur hinausgeschickt. Außerdem hätte er ohnehin nichts verstehen können, denn die Eltern sprachen fast lautlos, und ihre Köpfe waren ganz nahe beieinander. Aber Denis hatte schon vor längerer Zeit begriffen, dass es einige Dinge gab, die er anders tat als andere Menschen – und besser konnte. So verfügte er zum Beispiel über ein besonderes Gehör. Der kluge Onkel Chirurg, der immer etwas Leckeres zu naschen für ihn auf Lager hatte, nannte Denis’ Besonderheit sein mentales Gehör , aber was das genau bedeutete, hatte Denis nicht verstanden. Dafür hatte er gelernt, sich seine Fähigkeit zunutze zu machen.
    Wenn der Junge die Augen schloss und sich entspannte, erhob er sich ohne die geringste Kraftanstrengung und ohne sichtbare Bewegung in die Luft, um sich an den gewünschten Ort zu begeben. In diesem Fall neben seine Eltern, die gerade etwas Wichtiges besprachen …
    Damals hatte ihn seine Fähigkeit aus irgendeinem Grund im Stich gelassen. Entweder war er zu schlecht gestimmt gewesen, oder Mama und Papa hatten sich auf eine Weise unterhalten, dass sogar sein mentales Gehör nichts verstehen konnte. Nachdem er sich eine Weile erfolglos bemüht hatte, machte sich Denis widerwillig an die Lektüre des verhassten Nimmerklug und bemerkte nicht, wie er dabei einnickte.
    Wie er so auf den Wellen eines leichten Halbschlafs dahinglitt, sah er ein Mädchen. Sie hatte ein friedliches, reines, liebes Gesicht, dunkelblonde Haare, grüne Augen, Sommersprossen und eine lustige Stupsnase. Am linken Mundwinkel war ein Muttermal zu sehen. Nach wenigen Minuten begann ihr Gesicht zu verschwimmen, löste sich auf und verschwand. An seiner Stelle erschien die graue Wand des Flurs, und Denis wurde augenblicklich heiß von einem alarmierenden Vorgefühl.
    In den seitdem vergangenen dreizehn Nächten hatte er nicht geträumt.
    In dieser Nacht nun, als die Karawane gegen die Regeln verstoßen und mitten in der Nacht um Einlass gebeten hatte und Denis nach dem Verschwinden seiner Eltern wieder für kurze Zeit

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