03 - komplett
PROLOG
„Sie haben Ihre Meinung doch noch geändert.“
Die Freude in der Stimme des jungen Mannes traf Edgar Meredith wie ein Stich mitten ins Herz. Trotzdem quälte er sich ein Lächeln ab.
Nein, Rachel hat ihre Meinung geändert, dachte er bedrückt. Das Bedauern darüber war wie ein Schmerz und nahm ihm den Atem, sodass er nicht auf die Begrüßung antwortete.
Nach neunzehneinhalb Jahren, in denen er Zeuge vieler Tränen und Wutanfälle seiner ältesten Tochter sein musste, war ihm nicht entgangen, dass sie eigensinnig und ungestüm sein konnte. Jedoch hatte er nie angenommen, sie könne auch gefühllos und durchtrieben sein. Heute hatte sie allerdings den schockierenden, beschämenden Beweis dafür erbracht. Auch jetzt noch war er genauso unfähig zu sprechen wie vor einigen Stunden, als seine Frau ihn über die Situation unterrichtet hatte. Doch sprechen musste er ...
Edgar betrachtete den jungen Mann, und wieder fiel ihm dessen beeindruckende, muskulöse Gestalt auf und mit welcher Leichtfüßigkeit er sich dennoch bewegte. Als er ihm zur Begrüßung kräftig die Hand schüttelte, klammerte Edgar sich fast verzweifelt an ihn, statt lediglich den Druck zu erwidern.
„Was möchten Sie trinken? Cognac? Champagner?“ In seiner frohen Erregung fiel der leicht singende Tonfall seines irischen Akzents nicht mehr so sehr auf. Connor Flint lachte verschwörerisch und suchte ein Glas für den Mann aus, den er ab morgen Vater würde nennen dürfen. „Sie haben es also geschafft, sich für ein Stündchen davonzuschleichen, was?“
Edgar ertappte sich dabei, wie er nickte und den Mund zu einem verzerrten Lächeln verzog, während er zusah, wie sein junger Freund ihm Champagner einschenkte.
Nein, er brauchte sich nicht mehr davonzuschleichen. Von jetzt an konnte er so viel Zeit, wie er wollte, mit seinen Freunden verbringen. Denn man brauchte ihn für keine Hochzeitsvorbereitungen mehr. In den vergangenen sechs Monaten war er so stolz darauf gewesen, Major Connor Flint zu seinen Freunden zählen zu dürfen. Aber würde Connor nach heute Abend je wieder das Wort an ihn richten wollen?
Mr. Edgar Meredith war ein Mann mit vier Töchtern und dem heftigen Verlangen nach einem Sohn. Mrs. Meredith hatte ihm zu verstehen gegeben, dass genug genug sei, und zu ihrer Erleichterung und seiner Betroffenheit wurde sie darin bald von Mutter Natur unterstützt. Welch angenehmer Zuwachs zu seiner Familie wäre da doch Connor gewesen!
„Ich hatte keine Ahnung gehabt, wie viele Männer mir ihr Mitleid aussprechen wollten zu meiner letzten Nacht in Freiheit“, sagte Connor amüsiert und wies auf die lärmenden Gäste – darunter sein betrunkener Halbbruder – die seinen gemütlichen Salon füllten. Er lächelte, aber der Blick seiner klugen blauen Augen lag nachdenklich auf Edgar.
Der nickte nur, rieb sich mit einer fahrigen Handbewegung das Kinn und hob das Glas an die Lippen. Doch als würde ihm klar, wie enorm unangebracht es wäre zu trinken, stellte er es abrupt auf die Anrichte. Allen Mut zusammennehmend, zwang er sich, Connor anzusehen.
Einen Moment ließen ihre Blicke nicht voneinander, und Edgar wurde von einem Gefühl tiefster Erleichterung durchflutet. Connor wusste es! Er wusste es aus irgendeinem Grund und war bereit, ihm die ganze Sache zu erleichtern. Kein Grund für ihn, hilflos nach nutzlosen Ausreden zu suchen, um das empörende Benehmen seiner Tochter zu rechtfertigen „Es tut mir leid. Es tut mir so leid.“ Seine Stimme zitterte leicht, die Worte waren kaum zu hören beim rauen Gelächter, das sie umgab.
Connor zog ihn brüsk in eine Ecke des Raums, fort vom prasselnden Kaminfeuer und den betrunkenen Männern, die ihm lauthals zuprosteten.
„Warum?“
So heftig stieß er dieses eine Wort aus, dass Edgar zusammenzuckte, als wäre ein Schwall von Beleidigungen auf ihn niedergeprasselt. „Ich weiß es nicht. Sie ist eigensinnig ... halsstarrig ...“, erwiderte er hilflos und fügte hastig hinzu: „Ich hatte nicht die Gelegenheit, sie zur Rede zu stellen. Als ich von Windrush zurückkehrte, hatte sie sich bereits heimlich nach York davongemacht.“
Ein erstickter Laut von Connor unterbrach ihn, dann ein düsteres Lachen und ein leiser Fluch. „Nach York? Sie ist bis ganz nach York geflohen? Lieber Himmel!“
„Sie hat da eine Tante. Die Schwester meiner Frau“, erklärte Edgar zögernd. „Ich schwöre Ihnen, wir wussten nichts davon. Mrs. Meredith ist bestürzt. Wenn ich auch nur die leiseste
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