Das Maya-Ritual
öffnen.
»Hallo, Deirdre«, rief ich und trat dabei Wasser.
»Vielleicht kann ich ein paar von deinen Fragen beantworten.«
64
Die O’Kellys rissen die Köpfe herum wie Marionetten. Ich konnte die Ähnlichkeit zwischen den beiden nun deutlich sehen.
»Aber nur, wenn du zuerst mir ein paar Antworten gibst«, rief ich hinterher.
»Das ist deine Freundin, die blöde Schlampe«, sagte Dermot gehässig.
»Vielleicht hättest du mich umbringen sollen wie Goldberg, was, Dermot? Ist doch toll, wenn man jemanden, den man nicht ausstehen kann, unter dem Deckmantel, den Planeten zu retten, loswerden kann.«
Er antwortete nicht, sondern ging zu dem Unterstand, in dem die beiden ihre Tauchausrüstung abgelegt hatten. Deirdre näherte sich dem Wasserloch so vorsichtig, als könnte ich verschwinden, falls sie eine plötzliche Bewegung machte. Sie planten etwas, womöglich mit Hilfe des telepathischen Rudelinstinkts gleichaltriger Wesen, aber ich würde ihnen zuvorkommen.
»Und was hat dir am meisten Befriedigung verschafft, Deirdre? Unschuldige Studenten zu foltern und hinzurichten oder eine Freundin zu verraten, die dir mehr vertraut hat als irgendwem sonst auf der Welt?«
»Du hast den Kampf aufgegeben, Jessica«, entgegnete sie. »Du zählst nicht mehr.« Sie klang keine Spur zorniger oder bedrohlicher als bei anderen Gelegenheiten, bei denen sie mich zusammengestaucht hatte. Mir wurde klar, dass nicht ich es war, der es an Fantasie mangelte, sondern Deirdre. Sie erkannte den moralischen Unterschied nicht mehr zwischen einem Dschingis Khan und jemandem, der auf der Straße ein Bonbonpapier fallen ließ.
»Sieht so die Welt aus, in der Bonnie aufwachsen soll?«, fragte ich und behielt gleichzeitig Dermot im Auge. »Eine Welt, in der Freunde ausgenutzt und weggeworfen werden? Wo der Idealismus von Leuten wie Alfredo missbraucht wird? Wo man ohne Reue lügt, betrügt und mordet? Wo der Tod Tausender Menschen, darunter Kinder wie deine Tochter, keine Rolle spielt?«
»Wenn wir es nicht tun, wird keine Welt mehr übrig sein, in der Bonnie aufwachsen könnte.« Deirdre war in ihr einschmeichelndes Säuseln verfallen. »Sag, wie hast du uns gefunden?«
»Sagen wir mal, göttliche Eingebung.« Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Dermot etwas aus einem Plastikbeutel zog. Ich hatte angenommen, er würde seine Tauchausrüstung anlegen. Aber da lag ich falsch. Alfredo hatte mich gewarnt. »Wer als Letzter beim Boot ist, zahlt eine Runde«, rief ich, bevor ich das Mundstück zwischen die Zähne steckte und untertauchte.
Die Kugeln schwirrten neben mir durchs Wasser wie kleine Kondensstreifen. Ich tauchte senkrecht durch die trübe Mischzone, bis ich in das klare Meerwasser darunter kam. Im Eingang zu dem Durchbruch, der hinaus in die Lagune führte, pausierte ich mehr als eine Minute und ließ Ströme von Luftblasen entweichen. Dann schaltete ich meine Taucherlampe aus und schwamm wieder hinauf in die Düsterkeit der Mischzone. Die Sonne stand nicht mehr direkt über mir, und es war dunkler als zuvor. Nach wenigen Sekunden sah ich zwei verschwommene Strahlen durch die bräunliche Finsternis leuchten. Ich hielt den Atem an, während die beiden Taucher nur wenige Meter an mir vorbeischwammen und der Spur meines verbrauchten Sauerstoffs in die Blaue Höhle folgten.
Sobald ich aus dem Wasser gestiegen war, legte ich meine Taucherausrüstung ab und machte mich auf den Weg zum Mangrovengürtel.
Das Frachtnetz war nur mehr eine harte Kugel aus zusammengeschmolzenen Synthetikfasern und die Stange, an der es hing, ein verkohltes Gerippe.
Sie hatten die Vorrichtung an der schmälsten Stelle des Mangrovenbachs aufgebaut, wo er nur etwa vier Meter breit war. Ich bemerkte, dass die Flut kam, sie bedeckte bereits die Wurzeln der Mangrovenbäume.
»Sanchez!«, rief ich, in der Hoffnung, dass er sich in Hörweite aufhielt.
Ich sprang auf die Plattform, um eine erhöhte Position zu erreichen, und stieß versehentlich gegen das Ende der Querstange. Sofort fiel ihr oberer Teil in einem Wirbel aus Asche und Funken in sich zusammen. Ich blickte an den Pfosten hinab, die im Boden staken, und sah, dass um ihren unteren Teil inzwischen die Flut schäumte. Das würde ihren sicheren Halt am Ufer zweifellos untergraben.
Nach vielem Stöhnen und Keuchen war es mir lediglich gelungen, den Schwenkarm ein paar Zentimeter zu bewegen. Dann kippte die ganze Konstruktion zur Seite. Einer der Stützpfosten steckte in einem Uferstück, das zu versinken
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