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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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größer sein als das Muster. Bei großen Stücken musst du den mit Schamotte vermischten Ton nehmen, das sind diese kleinen Stückchen hier, siehst du. Das macht den Ton stabiler.“
    Carly betrachtete das Bild. So schwer sah das nicht aus. Trotzdem.
    „Harry, ich habe keine Ahnung, ob ich das von gestern wiederholen kann. Das überkam mich einfach so. Auf Knopfdruck geht das sicher nicht. Versuchen kann ich es natürlich. Ich habe nämlich Zeit. Viel Zeit.“
    Er sah sehr erleichtert aus.
    „Wirklich?“
    „Ja. Ich bleibe hier und ich suche ein Zimmer und einen Job.“
    „Hurra!“ Er umarmte sie stürmisch. „Herzlich willkommen im Team. Ich biete dir eine Werkbank im Warmen und das Versprechen, deine Werke so gut wie möglich zu verkaufen. Leider habe ich weder eine Festanstellung noch ein Zimmer zu vergeben. Aber es wäre doch ein Anfang ...?“ Hoffnungsvoll und mit schräggelegtem Kopf sah er sie an. Carly musste lachen.
    „Sehr gerne, wenn die Arbeitszeiten flexibel sind. Ich muss mir nebenbei einen richtigen Job suchen, mit dem ich wenigstens Miete und Dosenravioli bezahlen kann. Sag mal, muss dein Bruder so was nicht mitentscheiden? Du sagtest, ihr führt die Töpferei zu zweit?“
    „Mein Bruder!“ Harry wischte den unbekannten Philip mit einer Handbewegung beiseite. „Der ist mal hier, mal dort. Meistens dort. Irgendwo. Den hält es nicht lange an einem Fleck. Und wenn er nicht hier ist, hat er auch nix zu sagen. Aber wenn es dich beruhigt, wir haben schon öfter diskutiert, mit jemandem zusammenzuarbeiten, der anderes kann als Becher, Schalen, Vasen und Kerzenhalter. Übrigens kommt er bald nach Hause – hat er behauptet – und dann kannst du ihn fragen, ob es ihm recht ist.“
    „Na dann. Lass mich versuchen, ob ich auch auf Befehl etwas zustande bringe.“ Carly inspizierte die Seehunde von gestern. „Die sind ja schon trocken. Jetzt sehen sie ganz anders aus. Viel besser. Aber kleiner.“
    „Trocken sind sie nur von außen“, belehrte Harry sie. „Man nennt es auch lederhart. Und ja, der Ton schrumpft natürlich, wenn die enthaltene Feuchtigkeit verfliegt. Nimm für Großklaus’ Seehunde am besten gleich diesen Klumpen. Er möchte ja, dass sie größer werden. Und es ist nicht gut, wenn du nachher anderen Ton dazunehmen musst. Verschiedene Stücke Ton, auch wenn sie genauso aussehen, trocknen unterschiedlich. Das gibt wieder Spannungen. So, ich lasse dich in Ruhe. Ich bin nebenan, wenn du mich brauchst.“
    „Harry? Was ist deine Theorie zu Joram Grafunder? Wo ist er geblieben?“
    „Joram Grafunder? Meine Eltern kannten ihn, er war locker mit ihnen befreundet. Sie schnitzten diese traditionellen Fischland-Haustüren, so wie an diesem Haus, und auch Naurulokki hat ja so eine. Eigentlich alle Häuser hier. Da meine Eltern also mit Holz arbeiteten, hatten sie etwas gemeinsam mit Joram. Seit erst mein Vater und zwei Jahre später meine Mutter starb, habe ich ihn nicht mehr gesehen. Aber was soll schon passiert sein, es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder ist er ohne ein Wort fortgegangen, weil er es wie mein Bruder nie lange irgendwo aushielt – das sieht ihm am ähnlichsten. Oder er ist mit einem Boot rausgefahren oder schwimmen gegangen und ertrunken. Nicht immer findet man die Leichen, obwohl sie meistens irgendwo angespült werden, früher oder später. Hätte er irgendeinen anderen Unfall auf dem Land gehabt, hätte man ihn gefunden. Die Halbinsel ist zu klein, um darauf einen Menschen zu verbummeln.“
    „Es tut mir leid, dass deine Eltern auch tot sind.“
    Er zuckte mit den Schultern.
    „Schon gut. Ich hatte kein besonders gutes Verhältnis zu meinem Vater. Er war ... jähzornig. Wie gesagt, ruf mich, wenn du etwas brauchst. Und vergiss das mit dem Aushöhlen nicht.“
    Carly machte sich eifrig an die Arbeit. Nicht nur ihr noch fiktiver Verdienst hing davon ab. Sie wollte auch, dass die Schatten um Harrys Augen wieder verschwanden, die sie mit ihren vielen Fragen hervorgerufen hatte.

    Der Tonklumpen jedoch wollte nicht, wie sie wollte. Das heißt: wie Herr Großklaus wollte. Er wurde lebendig, sobald sie ihn anfasste, das Gefühl von gestern ergriff sofort wieder von ihr Besitz. Nur konnte sie klopfen, formen und drücken, wie sie wollte, es ließ sich kein Seehund blicken. Carly klumpte alles wieder zusammen, vergaß Herrn Großklaus, Harry und ihr leeres Konto und ließ sich auf der stummen Sprache des Tons treiben wie auf Wasser. Ihre Hände fingen an zu streichen, zu

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