Das Meer in deinem Namen
gespäht hatte, waren nicht gepflegt. Im Herbst gab es jede Menge zu tun ...
„Sprich doch mit Dem-Freund-von-dem-Herrn-Schnug. Vielleicht kannst du für ihn den Garten vom Haus in Ordnung halten. Möglicherweise auch das Haus, Betten beziehen und so.“ Wie so oft bewegten sich Thores Gedanken auf ähnlichen Bahnen wie ihre.
„Das wäre toll!“ Bei der Vorstellung, weiterhin tatsächlich zumindest eine Art von Beziehung zu Naurulokki zu haben, klopfte ihr Herz freudig wie eben noch beim vertrauten Klang von Thores Stimme.
„Aber eine Dauerlösung ist das nicht, das weißt du!“ Jetzt klang er streng, ganz der Professor. „Du weißt und kannst zu viel, um deine Perlen vor die Säue zu werfen. Hausmeister sein ist keine Berufung, weder in Berlin noch in Ahrenshoop.“
„Ich weiß. Eine ganz wilde Idee habe ich da auch schon, für später einmal. Jetzt muss ich erst mit Tante Alissa reden. Und mit Ralph, vielleicht will er die Hauswartwohnung in Berlin übernehmen, der hat ja keine Bleibe. Sag mal, wie heißt denn nun dieser Herr? Wenn er am Freitag kommt, muss ich ihn ja anreden können!“
„Ach Carly. Keine Ahnung, ich kann mir seinen Namen nicht merken. Ohne dich werde ich Probleme bekommen. Ich sehe zuhause nach und sag dir noch Bescheid, ja?“
Carly seufzte. Daran würde er nie im Leben denken. Blieb zu hoffen, dass Der-Freund-von-dem-Herrn-Schnug sich vorstellte, wenn er kam, und dass es sich dann wirklich um den Käufer und nicht um einen Versicherungsvertreter handelte.
Als sie aufgelegt hatte, blieb sie noch einen Moment sitzen, atmete tief durch. Traurigkeit stieg in ihr auf wie eine Flut. Jahrelange Zusammenarbeit mit Thore, sein Lachen jeden Tag, sein Arm um ihre Schultern, seine Geschichten, sein Augenzwinkern, die Gesten, mit denen er seinen Zuhörern die Sterne vom Himmel holte. Das alles hatte sie aufgegeben, freiwillig weggeworfen! Und eine sichere berufliche Zukunft obendrein. Sie musste verrückt sein.
Doch unter der Trauer fühlte sie sich so leicht und frei, dass sie fast meinte, mit dem Kormoran eine Runde über die Dünen fliegen zu können. Eine zitternde, schwingende, atemlose Freude stieg in ihr auf. Die Zukunft war ungewiss, aber nagelneu! Voller Möglichkeiten! Und ganz allein ihre!
Als sie bemerkte, dass sie in Gedanken ebenso viele Ausrufezeichen benutzte wie der laute Herr Großklaus, stellte sie fest, dass sie ihren Entschluss unbedingt jemandem erzählen musste.
Flömer! Nach Flömer hatte sie vorhin schon Sehnsucht gehabt. Und es war Abend. Flömerzeit.
Sie fand ihn auf dem Steg am Hafen; es hätte sie auch gewundert, wenn er nicht dort gewesen wäre. Es war, als käme er mit der Dämmerung, wäre Teil von ihr.
Was sie aber wunderte, war das Wort, das diesmal in weißen Kreidebuchstaben auf dem Holz leuchtete.
MORGEN.
„Hallo Flömer.“
Sie setzte sich neben ihn, zog die Schuhe aus und ließ wie er die Füße in den Bodden hängen. Heute roch es deutlich nach Herbst. Auf dem Wasser trieben zwei gelbe Blätter, begegneten sich, schoben sich übereinander, trennten sich wieder und folgten jedes einer anderen Strömung.
„Warum ausgerechnet ‚Morgen’?“
„Ich hatte so ein Gefühl, dass es passt. Ein unscheinbares, aber großes Wort. Man kann es mit so unendlich vielen Dingen füllen. Freier Raum, der immer noch offen ist. Das Einzige, was drin ist, sind Möglichkeiten.“ Flömer schnipste einen kleinen Kiesel ins Wasser. Gemeinsam sahen sie zu, wie die Ringe sich bis vor ihre Füße ausbreiteten. Ein Fisch schnappte danach, löste neue Ringe aus. „Es bedeutet große Verantwortung, ein Morgen so zu füllen, dass er nicht verschwendet wird. Aber was für eine aufregende, wunderbare Sache, findest du nicht?“
Spontan umarmte Carly ihn und gab ihm einen Kuss auf die wettererprobte Wange.
„Danke, Flömer. Du bist genau das, was ich jetzt brauche. Woher weißt du immer alles?“
„Ich kann den Himmel und das Meer lesen und so manches andere, sonst hätte ich mein Schiff nicht jedes Mal wieder in diesen Hafen steuern können.“
„Ich werde hierbleiben. Hier in Ahrenshoop. Am Meer. Ich weiß noch nicht, wie ich es anstellen soll, aber ich bleibe. Hier bin ich zu Hause.“
Hier bin ich zu Hause. Der Satz fiel weich in den Abend, trieb im leisen Herbstwind über den Steg, dann mit den letzten tanzenden Mücken über die Wasseroberfläche, wo er sich mit dem triumphierenden Ruf eines fernen Hirschen traf und schließlich von einer kleinen
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