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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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in der Hand. Er war kalkweiß.
    Carly lief zu ihm.
    „Was ist passiert? Ist dir schlecht?“
    „Ich weiß nicht. Es – ist nur so überraschend.“
    „Magst du drüber reden?“
    „Der Brief ist von unserem Anwalt. Er hatte Anweisung von unserer Mutter, ihn uns erst nach Joram Grafunders Tod auszuhändigen. Aus irgendeinem Grund wollte sie nicht, dass er es erfuhr. Sie hatte wohl Angst, er würde ihr Vorwürfe machen. Oder sie schämte sich, befürchtete Klatsch und Tratsch. Aber offenbar fand sie, wir sollten es eines Tages wissen. Was ja wohl richtig ist. Ich muss mich nur erst an den Gedanken gewöhnen.“
    „An welchen Gedanken?“, fragte Carly geduldig. „Du weißt also schon, dass sie Joram gefunden haben? Wie kommt dein Anwalt so schnell zu der Information? Soll ich dir ein Glas Wasser holen?“
    „Das hier ist ein Dorf. Ein Jäger hat gesehen, wie sie die Überreste abtransportiert haben. Das hat sich schon gestern Abend rumgesprochen. Und der Anwalt wohnt nebenan. Er liebt es, dramatische Botschaften zu überbringen. Wahrscheinlich hätte er zum Theater gehen sollen. Setz dich. Nein, danke, kein Wasser.“ Er winkte sie auf einen Stuhl.
    „Ich hatte dir doch erzählt, dass Joram Grafunder lose mit meinen Eltern befreundet war. Sie arbeiteten alle mit Holz. Er war ja nie lange hier, aber ab und an trafen sie sich zum Fachsimpeln.“
    „Ja, ich erinnere mich. Und? Was steht in dem Brief?“
    „In dem Brief steht, dass mein Bruder nur mein Halbbruder ist. Joram Grafunder ist Philips Vater!“
    „Oh.“ Etwas Schlaueres fiel Carly nicht ein. Sie versuchte, sich das vorzustellen. Joram – der ungesellige Joram hatte eine Affäre gehabt? Und der unbekannte Philip Prevo war Jorams Sohn?
    „Wie soll ich das bloß Philip beibringen? Obwohl – wenn ich darüber nachdenke, vielleicht freut er sich sogar. Unser Vater war schwierig. Die zwei haben sich nie verstanden. Ich kam besser klar.“ Harry erholte sich allmählich.
    Carly, die langsam begriff, was das bedeutete, freute sich auf jeden Fall. Joram hatte einen Sohn. Das hieß, von Joram war etwas geblieben. Nicht nur Kunst. Jemand, der lebte!
    „Wie alt ist dein Bruder?“
    „Achtundzwanzig.“
    Dann war die Affäre zwischen Harrys Mutter und Joram also lange her. Da war er mit Henny noch nicht zusammen gewesen. Das beruhigte sie.
    „Hast du ein Foto von Philip? Ich meine, würdest du mir eins zeigen?“
    „Hier.“ Harry zog etwas aus einem Regal und reichte es Carly. Eine bunte Broschüre von der Töpferei. Außen war das Haus zu sehen. Als sie die erste Seite umschlug, sah ihr Harrys Gesicht entgegen – und noch eines. Ein schmales, waches Gesicht mit großen, geheimnisvollen Augen.
    Mit Jorams Augen.

    Carlys nächste Station war der Friedhof. Sie war so in Gedanken, dass sie fast an der Kirche vorbeigeradelt wäre. Dann hatte sie vergessen, wo sich Hennys Grab befand, und musste sich mit Anstrengung konzentrieren, um es wiederzufinden.
    Aus ihrer Tasche nahm sie die Muschel mit den verschlungenen Zeichen, die Henny bei ihrem Tod in der Hand gehabt hatte, um Joram nahe zu sein. Behutsam legte sie sie auf Hennys Grab, neben die, die Nicholas Ronning dort hinterlassen hatte. Zwei Muscheln, zwei Lieben.
    „Siehst du, Joram ist doch bei dir geblieben, und ich hoffe, ihr seid jetzt zusammen in allen Meeren der Welt unterwegs mit den Enden des Windes. Und stell dir vor, er hat einen Sohn …“
    Wie als stille Antwort segelten ein paar goldene Ahornblätter vor den Grabstein.

    Carly war rechtzeitig zurück, um mit Jakob wie verabredet zum Beerdigungsinstitut zu fahren. Das Wissen um Jorams Sohn behielt sie für sich. Es lag allein bei Harry zu entscheiden, ob er das außer seinem Bruder noch jemandem erzählen wollte.
    „Jakob, hast du etwas länger Zeit – und würdest du den Anhänger mitnehmen?“
    „Kein Problem.“ Jakob war so wohltuend unkompliziert.
    Sie veranlassten, dass Joram neben Henny beerdigt werden würde. Auch das war erstaunlich unkompliziert. Ahrenshoop war eben nicht Berlin.
    Nach einem Abstecher zur Bank dirigierte Carly Jakob zu Jorams Adresse in Born.
    „Puh, was für ein Drachen!“ Jakob wischte sich theatralisch über die Stirn, als sie der unfreundlichen Vermieterin die offene Miete gezahlt und den Tisch ausgelöst hatten.
    „Aber du hattest recht. Dieses wunderschöne Stück gehört nach Naurulokki!“
    „Eigentlich Blödsinn – nur für irgendeinen Typ, der das Haus als Investition betrachtet. Aber immer noch

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