Das Meer in seinen Augen (German Edition)
wusste doch gar nicht ... Dann wurde er von einem Polizisten grob beiseite gestoßen. Plötzlich eilten überall Einsatzkräfte herum.
»Die Frau hat was von einem Irren gesagt«, kam die Antwort aus einer anderen Richtung.
Merlin taumelte zur Seite und trat ins Blumenbeet. Einen Augenblick wollte er einfach nur in diesen Vorgarten fallen und nichts mehr mitbekommen müssen. Doch dann sah er David aus dem Haus stürmen und fing sich wieder.
»David!« Der Schrei brach heiser durch all das Durcheinander vor ihm. David drehte sich suchend zu ihm um. Er wischte sich über die Augen, als könne er nicht richtig sehen. Doch dann kam er zu ihm rüber. Tränen liefen ihm übers Gesicht und seine Schritte waren unsicher.
»David!«, sagte Merlin und warf sich ihm entgegen. Erst als er ihn wirklich in den Armen hielt, konnte er sich ein wenig beruhigen. Er hatte diesen Jungen in den Armen und spürte dessen Tränen an seinem Hals hinunterlaufen. David war nichts passiert. Erleichtert schloss er die Augen. Sein Kopf hatte ihm in den letzten Sekunden immer wieder Bilder von Davids Tod gezeigt. Doch nun hielt er ihn und fühlte seinen viel zu schnellen Atem. Egal was passiert war, David war noch da.
»David«, sagte er noch mal und drückte ihn fest an sich. »Ich - ich - ich hab gedacht, du bist ...«, er brach ab, weil seine Stimme versagte.
»Gesichert!«, rief eine Stimme aus dem Haus. »Ruf die Spurensicherung!«
Ein weiterer Krankenwagen brauste unter Sirenenalarm herbei.
Merlin öffnete die Augen wieder und sah, dass ein Polizist Davids Mutter zurückhielt. Ein Sanitäter kümmerte sich um sie. Vielleicht brauchte David auch ärztliche Hilfe? Er löste die Umarmung und sah seinen Freund an.
»David?«
David nickte abwesend. Seine Augen waren trüb und blickten geradeaus ins Leere.
»Komm, ich bring dich ...« Er sprach nicht weiter, sondern nahm David einfach bei der Hand und zog ihn hinter sich her.
Sofort kamen zwei Männer in weiß angelaufen und kümmerten sich um David. Merlin blieb hilflos stehen.
»Brauchen Sie auch ärztliche Versorgung?«, fragte ihn einer der Sanitäter schließlich.
»Nein, danke«, sagte Merlin und kam sich sogleich absolut dumm vor. »Was ist mit meinem Freund?«, fragte er schnell.
»Er steht unter Schock«, sagte der Sanitäter. »Wir haben ihm ein leichtes Beruhigungsmittel gegeben.«
Merlin nickte. Er ging zu David hinüber und nahm seine Hand.
»Sind Sie ein Familienmitglied?«, fragte einer der anderen Sanitäter.
»Nein«, sagte Merlin. Er beugte sich vor und gab David einen Kuss auf den Mund. Dann trat er beiseite.
Der erste Krankenwagen setzte sich langsam in Bewegung und fuhr schließlich weg. Davids Mutter saß auf der Mauer des Vorgartens. Selma hielt sie im Arm. Dann kamen weitere Polizeifahrzeuge an und ein neuer Krankenwagen. Merlin sah die Straße hinunter. Mittlerweile hatten sich etliche Bewohner zusammengefunden, um das Spektakel zu beobachten. Für einen Moment blieb auch Merlin stehen, um den Beamten bei ihrer Arbeit zuzusehen. Dann zog er sich aber zurück und ging in Davids Haus. Es fühlte sich komisch an, einfach hier reinzugehen. Aber die Tür stand offen und in Paolos Haus konnte er nicht. Also stieg er die Treppe zu Davids Zimmer hinauf und stellte sich ans Fenster. Erst jetzt spürte er, dass sein Herz noch immer wie wild schlug. Er versuchte sich zu beruhigen. Alles war in Ordnung. David lebte!
Irgendwann kamen zwei Polizisten zu Selma und Davids Mutter hinüber und sprachen sie an. Merlin sah, wie seine Mutter mehrmals den Kopf schüttelte. Schließlich hielt sie Davids Mutter ein Stück von sich weg und fragte sie etwas. Die nickte. Kurz darauf erhoben sie sich und kamen auf das Haus zu. Merlin richtete sich auf, blieb aber weiterhin am Fenster stehen. Er kam sich komisch vor, von hier oben alles zu beobachten. Dann fiel sein Blick plötzlich auf ein Fernglas. Überrascht nahm er es auf und spähte damit hinüber. Er konnte geradewegs in sein ehemaliges Zimmer sehen.
Unten hörte er seine Mutter etwas erzählen. Merlin konnte nur hoffen, dass sie den Polizisten jetzt nicht irgendwas über das große Ereignis erzählte, das sie schon die ganze Zeit erahnt hatte. Überhaupt, woher hatte sie das alles nur gewusst? Jetzt im Nachhinein machte das komische Verhalten seiner Mutter tatsächlich Sinn.
Merlin zuckte mit den Achseln. Auch seine Mutter konnte mal einen Glückstreffer landen, das bedeutete noch lange nicht, dass sie wirklich eine Hexe
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