Das Meer wird dein Leichentuch
Seele blickte. Ich fühlte, dass es auch nicht das kleinste, tief in meinem Inneren verborgene Geheimnis gab, das diesem geheimnisvollen, fremden Aristokraten verborgen blieb.
Ich hatte Angst vor der unheimlichen Erscheinung in Schwarz - und fühlte mich doch gleichzeitig zu ihm hingezogen. Ich spürte das Schlagen meines Herzens. Mein ganzer Körper kribbelte, als wenn Myriaden von Ameisen darüber liefen.
Mit aller Kraft versuchte ich, den in mir aufkommenden Wunsch zu unterdrücken, die Bekanntschaft des Unbekannten zu machen. War es ein Ruf des Schicksals, der mich vorwärtsdrängte? Ein nie gekanntes, inneres Sehnen zog mich in die Nähe des vornehmen Herrn, der mich jetzt entgegen aller guten Sitten eifrig zuwinkte.
„Amarnis!“, rief er wieder den Namen, mit dem ich eigentlich nichts anfangen konnte.
Ich weiß heute nicht mehr, ob ich von den nachdrängenden Passagieren vorwärts geschoben wurde oder aus eigenem Antrieb zu ihm hinüber ging. Und es schickt sich eigentlich nicht für die Dienende eines vornehmen Hauses, sich in die Nähe eines fremden Mannes zu begeben. Schon gar nicht, wenn sein Äußeres erkennen lässt, dass er diese Passage in der Luxus-Klasse der Millionäre gebucht hat.
Es war das Schicksal, das mich in diesem Augenblick vorwärts schob. Oder war es der hypnotische Zwang seiner Augen? Mechanisch bewegte ich mich auf dem unheimlichen Fremden zu.
Und dann stand ich direkt vor ihm. Der Blick in seine grauschwarzen Augen war wie ein Blick in die unergründliche Tiefe des Ozeans. Ein Lächeln umspielte die schmalen Lippen. Und in seinem Blick lag ein Glanz, als würde er mich seit Jahren kennen.
„Amarnis!“ Unglaubliche Zärtlichkeit lag in dieser Stimme. „Endlich, meine Amarnis. Nach all den Jahren haben wir wieder zueinandergefunden.“
Für einen Augenblick stand ich wie vom Donner gerührt. Mit wem verwechselte mich dieser vornehme Herr? Mit einer Verwandten? Oder mit einer früheren Liebschaft? Denn den Namen Amarnis hatte ich in meinem Leben noch niemals gehört.
Amarnis? Das klang wie ein Name aus der Antike. Heute hieß bestimmt keine Frau mehr so. Die Sache musste rasch aufgeklärt werden.
„Ich gehe davon aus, dass hier eine Verwechslung vorliegt, Monsieur“, sagte ich auf Französisch. „Vielleicht sehe ich einer Amarnis ähnlich, die sie kennen. Aber ich versichere Ihnen, ich bin es nicht.“
Für einen Augenblick schien die Zeit stillzustehen. Nachdenklich sah er mich an. Dann schüttelte er langsam mit dem Ausdruck tiefsten Bedauerns den Kopf.
„Ja, ich fürchte, ich habe mich tatsächlich geirrt, Mademoiselle!" gab er mit leiser Stimme in französischer Sprache zurück. "Wollen Sie bitte die Güte haben, meine Entschuldigung anzunehmen?“ Mit einer höflich galante Verbeugung lüftete der Fremde leicht den Zylinder.
"Wer könnte eine so galante Entschuldigung verweigern!“ gab ich zurück und lächelte ihn so gut es ging an.
„Marquis Damian de Armand. Zu Ihren Diensten, Mademoiselle!“ stellte sich der Fremde vor. Es waren Worte, die aus seinem Mund wie eine wundervolle Melodie klangen.
„Ich bin Danielle Bidois und freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Monsieur le Marquis!“ Es gelang mir, noch einmal zu lächeln. Und meine Beine waren inzwischen auch wieder so gefestigt, dass sie einen kleinen Knicks zuließen.
"Sie reisen allein?“ Die Frage des Marquis klang wie eine Feststellung.
„Ich bin ... ich bin die Bedienstete von Mrs. Madeleine Astor!“, stammelte ich. Ich spürte, wie sich meine Wangen röteten. Denn eigentlich gehört es sich nicht, dass eine Frau meines Standes mit einem Mann der hohen französischen Aristokratie ein Gespräch führt.
„Die Frau von Jay?“, vergewisserte sich der Marquis. Aber ich wusste sofort, wen er meinte. Denn mein Dienstherr wurde im Allgemeinen bei den Anfangsbuchstaben seiner Vornamen John Jacob genannt. Und im Englischen klang das eben "Jay Jay".
„Ja, Colonel Astor!“ nickte ich. „Ich bitte Sie, ihm nicht zu verraten, dass ich es mir herausgenommen habe, mit Ihnen zu reden. Er ist, was das Personal angeht, sehr konservativ.Und da könnte er es mir übel nehmen, dass ich hier mit einem Mann rede, der in der Gesellschaft so weit über mir steht wie die Spitze des Eiffelturms über den Dächern von Paris.“
„Kein Mensch sollte von sich behaupten, dass er wertvoller
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