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Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)

Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)

Titel: Das Ministerium der Schmerzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dubravka Ugresic
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mit einer Doktorarbeit über den Gebrauch des kajkavischen Dialekts in Werken kroatischer Schriftsteller und bloß ein paar Jahren Lehrtätigkeit an der Zagreber Pädagogischen Akademie nach Amsterdam geraten. Amsterdam war eine bezahlte Atempause. Was ich danach tun würde, wusste ich nicht.

2.
    Zuerst nannten sie mich
Frau Professor Lucić
, gingen aber bald zu
drugarica
über.
Drugarica
bedeutet wörtlich Genossin, war jedoch in Jugoslawien in den ersten Jahrzehnten des Kommunismus die übliche Anrede für die Lehrerin. Dieses
drugarica
war für meine Studenten eine fröhliche intime Chiffre für die Verbindung mit den Schulbänken, die wir alle längst verlassen hatten, mit der Zeit, die vergangen war, mit dem Land, das es nicht mehr gab. Das war auch kein Wort, sondern das lustige Klingeln der Pawlow’schen Glocke. Ich redete sie mit
Sie
an, nannte sie aber meine
Schüler
. All das war eine Art humorige Simulation. Weder waren sie
Schüler
, noch war ich
drugarica
. Die meisten waren zwischen zwanzig und dreißig und nur wenig jünger als ich. Meliha war so alt wie ich, und Johanneke und Laki etwas älter. Nur dieses
Sie
ermahnte uns also, die Spielregeln einzuhalten.
    Sie waren mit dem Krieg hergekommen, einige hatten Flüchtlingsstatus, andere nicht. Die Jungen aus Kroatien und Serbien waren vor der Einberufung geflohen. Einige kamen aus den bosnischen und nordkroatischen Kriegsgebieten. Einige waren einfach den anderen gefolgt und geblieben. Einige hatten gehört, dass Holland Flüchtlinge aus Jugoslawien großzügig mit Sozialhilfe und Wohnraum versorgte, und waren gekommen, um die schwache Währung ihres Lebens gegen eine härtere einzutauschen. Einige hatten holländische Partner gefunden.Mario war in Österreich – wohin ihn seine Eltern aus Angst vor der Mobilisierung durch die kroatischen Behörden geschickt hatten – einer Holländerin begegnet, die ihn mitgenommen hatte. »Vielleicht habe ich wegen der Papiere geheiratet und mich nachträglich in die eigene Frau verliebt. Oder ich habe mich zuerst verliebt und dann wegen der Papiere geheiratet, jetzt weiß ich das nicht mehr«, erklärte er lachend.
    Boban war mit einer Gruppe älterer Belgraderinnen, Anhängerinnen von Sai Baba, nach Indien gereist. Alles hatte seine Mutter organisiert und finanziert, nur um ihn vorübergehend vor der Mobilisierung zu bewahren. In Indien trennte er sich von der Gruppe, irrte zwei Monate umher, erkrankte an der Ruhr, nahm das erste Flugzeug, landete in Amsterdam, wo er in die Maschine nach Belgrad umsteigen sollte. Und hier in Schiphol, von WC zu WC rennend, kam er plötzlich auf die Idee, politisches Asyl zu beantragen. Damals ging das noch. Ein oder zwei Jahre lang waren die holländischen Behörden großzügig gegenüber allen, die aus Ex-Jugoslawien kamen. Der Krieg war noch immer ein überzeugender Grund. Nur ein paar Monate später veränderten sich die Dinge, und die Tür wurde zugeschlagen.
    Johanneke war Holländerin. Sie sprach fließend
Unsrig
mit bosnischem Akzent. Ihre Eltern waren Linke, die nach dem Zweiten Weltkrieg mit den internationalen Jugendbrigaden in Jugoslawien Bahnstrecken und Straßen gebaut hatten. Später reisten sie als Touristen an die Adria. So besuchte Johanneke einmal Sarajevo, verliebte sich in einen Bosnier und blieb. Geschieden, mit zwei kleinen Töchtern, hatte sie jetzt beschlossen, Slawistik zu studieren. Sie war vereidigte Gerichtsdolmetscherin, was sich als sehr nützlich erwies. Denn sie übersetzte und beglaubigte kostenlos alle Dokumente, welche die Schüler benötigten.
    Es gab welche, die ein paar Mal im Unterricht erschienen und dann wegblieben. Laki war aus Zagreb. Er prägte sich mir ein, weil er mich im Unterschied zu den anderen
Frau Lucić
nannte.
Drugarica
war wohl für ihn zu
jugoslawisch, kommunistisch, unkroatisch
. Seine affektierte Zagreber Redeweise ging mir auf die Nerven. Wie so viele war Laki vor dem Krieg wegen des »Kiffens« nach Amsterdam gekommen. Jahrelang studierte er Slawistik, empfing Sozialhilfe und wohnte billig in einer Unterkunft, die ihm die städtischen Behörden zugewiesen hatten. Die Schüler behaupteten, Laki sei ein bezahlter Polizeispitzel, er habe damit geprahlt. Er soll Telefongespräche zwischen Angehörigen der jugoslawischen Mafia abgehört haben, die von der Polizei überwacht wurden. Die Studenten nannten ihn Laki Linguist, weil er angeblich zum Zeitvertreib an einem holländisch-kroatischen Wörterbuch bastelte, für das er

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