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Das mittlere Zimmer

Das mittlere Zimmer

Titel: Das mittlere Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Lempke
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Entschlossenheit, die sie dort entdeckte, ließ ihr Herz vor ohnmächtiger Wut noch schneller schlagen. Der Mann hatte keine Skrupel! Wahrscheinlich hatte ihm Johann so viel Geld geboten, dass er den Rest seines Lebens in Saus und Braus im Ausland verbringen konnte. Ja, er würde sie gleich hier und jetzt umbringen, wenn es sein musste.
    „Gut, ich komme mit “, murmelte Rike. Gemächlich bewegte sie sich durch die Bankreihe auf den Mittelgang zu. Bachmann ließ sie vorgehen.
    „Das haben Sie richtig gemacht, Frau Wolter. Ihr Mann will nur mit Ihnen reden. Es wird alles gut“, flüsterte es hinter ihr, und seine Worte hätten sie beinah dazu gebracht, hysterisch aufzulachen. Sie presste eine Hand auf den Mund und spürte, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. Sie lief zur Eingangstür hinaus, aber Bachmann blieb ihr dicht auf den Fersen.
    Zwei Minuten später saßen sie angeschnallt in Bachmanns dunkelblauem, nach ka ltem Rauch stinkendem Kombi, ein Wagen wie geschaffen, um damit Leichen zu transportieren. Bachmann zündete sich eine Zigarette an und sagte jetzt gar nichts mehr.
    Wieder und wieder versuchte Rike, konzentriert nachzudenken, aber in ihrem Verstand herrschte ein Chaos, das nicht allzu viele vernünftige Gedanken zuließ. Schließlich saß sie neben ihrem potentiellen Mörder, fuhr womöglich zu ihrer Hinrichtung!
    Bachmann durchquerte zügig die Stadt, und als er die Landstraße erreichte, die direkt zu J ohanns Haus führte, verkrampften sich Rikes Nackenmuskeln, und als Bachmann ein paar Kilometer weiter plötzlich und unerwartet nach rechts abbog, fing Rike an, auf ihrer Unterlippe herumzubeißen. Wo wollte er hin?
    Sie kannte die Gegend. Ein paar Kilometer weiter kam ein Dorf, und ein paar Kilometer hi nter dem Dorf begann ein Wald, der sich ziemlich weit in alle Richtungen ausdehnte. Sollte sie dorthin gebracht werden? Wartete dort Johann mit dem Strick auf sie?
    Wie Schneewittchen kam sie sich vor, Schneewittchen, das vom Jäger in den Wald mitg enommen wird, um erschossen zu werden. Aber dieser Jäger würde kein Mitleid mit Schneewittchen haben.
    So weit darfst du es nicht kommen lassen! , meldete sich eine Stimme in ihrem Kopf. Und während sie beobachtete, wie Bachmann rasant und gekonnt die engen Kurven der mit Bäumen gesäumten Landstraße nahm, blitzte eine riskante Idee in ihrem Verstand auf.
    Die Uhr im Auto zeigte 16.55, der Verkehr hielt sich in Grenzen, nur ab und zu kam ihnen ein Auto entgegen. Rike wartete, bis die Gegenfahrbahn frei war und Bachmann wieder einmal halsbrecherisch in eine Kurve ging. Dann drückte sie plötzlich auf den roten Knopf seines Gurtschlosses, sein Gurt flog hoch, sie griff ihm ins Lenkrad und riss es nach rechts.
    Bachmann begriff kaum, wie ihm geschah. Er fluchte lautstark und versuchte, gegenzuste uern, zu bremsen und auf der Fahrbahn zu bleiben. Aber es war zu spät, der Wagen brach aus der Kurve, flog förmlich über ein Stück Wiese auf einen Baum zu und krachte mit der linken Seite gegen den Stamm.
    Rike wurde nach vorn geschleudert. Der Gurt presste ihr für Sekunden den Brustkorb zusa mmen. Ihr blieb die Luft weg, während ihr Kopf ruckartig zurück gegen die Stütze schlug. Ein paar Momente lang war ihr schwarz vor Augen, und sie dachte schon, sie würde das Bewusstsein verlieren, aber auf einmal bekam sie wieder Luft. Der Schmerz und der Druck auf ihre Brust ließen nach. Sofort sah sie nach links, wo Bachmann neben ihr saß.
    Kein Airbag hatte sich, aus welchen Gründen auch immer, geöffnet, vielleicht hatte der alte Wagen nicht einmal einen. Bachmanns Kopf, das Gesicht abgewandt, lag auf dem Steuerrad. Er war gegen die Windschutzscheibe g eflogen, die jetzt ein Spinnennetz aus tausend Rissen zierte. Im Zentrum des Netzes klebte leuchtend rot sein Blut, und sein Blut tropfte auch zäh durch das Lenkrad auf seine Knie.
    Rike konnte nicht wirklich erkennen, wie schwer er verletzt war, oder ob er noch atm ete, und anfassen wollte sie ihn auf keinen Fall. Vielleicht waren auch seine Beine eingeklemmt, so eingedrückt, wie der Wagen auf der linken Seite war. Ganz im Gegensatz zu ihrer Seite, die völlig intakt zu sein schien.
    Sie öffnete den Gurt: kein Problem. Sie öffnete die Beifahrertür: kein Problem. Nichts tat ihr weh. Normal war das nicht.
    Rike stieg, sich an Rahmen und Tür festhaltend, aus dem Auto, drehte sich um und nahm ihre Handtasche und ihren Mantel heraus. Ihre Beine fühlten sich weich an, aber sie sagte sich, das sei nur

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