Das mittlere Zimmer
ihn nicht noch mehr reizen. Sie musste an seine Vernunft appellieren.
Sie bekam ihre Stimme einigermaßen unter Kontrolle. „Johann, du wirst irgendwann nicht mehr damit durchkommen, dass du dauernd Leute umbringst! Irgendwann we rden sie dich für immer wegsperren!“
„Ja, irgendwann vielleicht. Aber dieses Mal noch nicht!“ Er sagte es mit so viel Überze ugung und Härte, dass die Angst in ihr Gehirn zurückschoss und ihr richtig heiß wurde in dem heißen Wasser.
„Können wir uns nicht einigen?“ , hörte sie sich flehen. „Du bringst mich nicht um, wir lassen uns scheiden, und ich verrate keiner Menschenseele, was du getan hast!“
Er stieß einen Laut aus, der vielleicht ein eisiges Lachen sein sollte. „Na ja, wenn ich dich u mbringe, wirst du mich auch nicht verraten. Das ist sicherer für mich, denn du hasst mich, und Menschen, die hassen, sind unberechenbar!“ Er blickte mit kalter Wut auf sie herab.
Rike musste zu ihm aufsehen, sie spürte, wie sich ihr Nacken verspannt hatte, wie sich alle Muskeln verkrampften. Aber in wenigen Sekunden würde sowieso jeder Schmerz vorbei sein. Denn Johann schaltete den Fön ein.
Keine Sekunde später reagierte sie, ohne nachzudenken. Sie schaufelte mit beiden Händen Wasser aus der Wanne auf den Fön zu. Eine ganze Ladung schwappte in die vordere Öffnung des Geräts. Es knallte, es zischte, Funken sprühten, Qualm stieg auf, und Johann ließ den Fön fallen, als hätte er einen Stromschlag bekommen. Er wollte zurückweichen und rutschte dabei auf den nassen Fliesen aus, denn plötzlich kippte er rückwärts, landete auf seinen vier Buchstaben und schlug mit dem Hinterkopf gegen die gekachelte Wand.
Rike erkannte ihre Chance. Sie sprang aus der Wanne, wäre mit ihren nassen Füßen beinah ebenfalls ausgerutscht, fing sich, riss ein Badetuch von der Stange an der Wand und warf, bevor sie aus dem Raum rannte, einen schnellen Blick zurück. Johann saß noch auf dem B oden, hielt sich mit einer Hand den Kopf und sah leicht benommen hinter ihr her.
Rike hastete auf den Flur. Wohin jetzt? In ihr Zimmer? Da saß sie in der Falle! Nein, raus aus dem Haus!
Sie lief weiter, schnappte sich ihre Handtasche und irgendeine Jacke von der Garderobe und stürmte die Treppe hinunter. Unterwegs wickelte sie, so gut es ging, das weiße Badetuch um ihren nassen Körper. Als sie die Haustür aufriss, blieb sie einen Moment stehen und lauschte nach oben. Noch schien er sie nicht zu verfolgen. Also weiter.
Ihr Auto stand mitten auf dem Schotterparkplatz. Verdammter Mist - sie trug keine Schuhe! Fluchend und schimpfend humpelte sie über die scharfkantigen Steine, kramte währen ddessen die Autoschlüssel aus ihrer Handtasche, mit den Ellbogen krampfhaft das Handtuch am Körper festklemmend, schloss den Wagen auf, warf Jacke und Tasche hinein, ließ sich auf den Fahrersitz fallen und raste sofort los. Während sie in einem Tempo wendete, dass der Schotter spritzte, sah sie einmal kurz zur Haustür hinüber. Immer noch kein Johann weit und breit.
Rike schoss aus der Einfahrt auf die Straße und brauste davon, als sei der Teufel persönlich hinter ihr her. Nachdem sie ein paar Kilometer zwischen sich und Johanns Haus gebracht ha tte, begann sie sich zu fragen, wo sie eigentlich hinwollte. Zu einer Freundin? Nein, zu viele Fragen. Außerdem hatte sie noch etwas zu erledigen! In ein Hotel? Mit nichts als einem Badetuch am Leib?! Noch mehr Fragen, wenn nicht gar eine Einweisung in eine einschlägige Klinik!
Die Wohnung ihrer Eltern. Gut. Sie hatte die Schlüssel (hoffentlich) in der Tasche. Dort kon nte sie sich (hoffentlich) in Ruhe einkleiden. Und hoffentlich kam Johann nicht ebenfalls sofort auf die Idee, sie dort zu suchen. Denn er würde sie suchen, davon war sie überzeugt.
Dass sie schließlich die Stadt erreichte, ohne einen Unfall gebaut zu haben, kam ihr selbst wie ein Wunder vor. Sie stellte ihr Auto nicht direkt vor dem Haus mit den E igentumswohnungen ab, sondern parkte um die Ecke in einer Seitenstraße.
Bevor sie ausstieg, zog sie die Jacke über (eine alte, grüne Jacke von Johann mit vielen T aschen innen und außen), die sie vorhin blindlings vom Haken gerissen hatte. Trotzdem drehten sich mehrere Passanten irritiert nach ihr um, als sie barfuß und im weißen Badetuch, das unter der Jacke hervorlugte, über die Straße huschte. Sie war froh, als sie die Wohnungstür im zweiten Stock hinter sich zumachen konnte.
Sie ging direkt ins Schlafzimmer, um sich
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