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Das mittlere Zimmer

Das mittlere Zimmer

Titel: Das mittlere Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Lempke
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der Doktor behauptete, gerne um-, an- und auszubauen, entwickelte sich zwischen den beiden Männern überraschend ein Fachgespräch, das sich vor allem im Schlafzimmer und dann in Hannahs Zimmer um Dachgauben drehte.
    „Ach ja, eigentlich wä re ich gerne Architekt geworden“, seufzte der Doktor plötzlich und sah zu Rike hinüber, die mit verschränkten Armen neben der Tür stand. „Hatten Sie früher auch mal einen Traumberuf?“
    „Ja“ , sagte Rike und schaute in die Ferne. „Ich hätte gern als Malerin in einem Haus mit verwunschenem Garten irgendwo an der Mittelmeerküste gelebt.“ Sie lachte, obwohl ihr tief in der Seele etwas wehtat. „Das Haus mit verwunschenem Garten hab ich ja jetzt, und malen kann ich auch, so viel ich will! Den Regenbogen da an der Wand hab ich selbst gemalt, und auch die Bordüre im Schlafzimmer.“
    „Wirklich hübsch“ , lobte der Doktor, und seine bernsteinfarbenen Augen lächelten. Ein trauriges Lächeln, ein beinah mitleidiges Lächeln. Rike wandte den Blick ab.
    „Was sind Sie denn von Beruf?“ , hörte sie Wolter fragen.
    „Ich bin Lehrerin für Deutsch und Erdkunde. Am Gymnasium.“ Klang sie nicht ein ganz klein wenig aggressiv? So, als müsse sie sich rechtfertigen? „Im Moment bin ich beurlaubt, aber wenn Hannah in den Kindergarten geht, fange ich wieder an me iner alten Schule an. Oder ich mache was anderes.“ Ein schneller Blick zu Achim, der ihr gar nicht zuzuhören schien, sondern mit dem Daumennagel einen Farbspritzer vom Fensterglas zu kratzen versuchte. Der nächste Blick zu Wolter, der sie immer noch unentwegt lächelnd musterte.
    Als sie merkte, dass ihr dieser Blick die Röte ins Gesicht trieb, murmelte sie „En tschuldigen Sie mich kurz“, verließ das Zimmer und schloss sich im Bad nebenan ein. Bald darauf hörte sie, wie sich alle im Flur versammelten, und Achim Anstalten machte, den Doktor auf den Dachboden zu lotsen, um seine Meinung für den Ausbau einzuholen. Und sie hörte, wie Frau Wolter ihrem Mann resolut verbot, mit seinen (wie sie sagte) ,ausgeleierten‘ Knien die gefährlich steile Stiege zum Speicher hinaufzuklettern. Anscheinend hatte sie sowieso genug von der Hausbesichtigung und wollte lieber im Wohnzimmer gemütlich im Sitzen plaudern.
                  Achim, der vermutlich eine Daumen lutschende Hannah auf dem Arm trug, führte seine Gäste wieder hinunter. Rike war zwei Minuten später ebenfalls zur Stelle, um den Wo lters ein Glas Wein anzubieten, das sie nicht ablehnten. Hannah hatte es sich derweil auf dem beheizten Fußboden mit einem Malbuch gemütlich gemacht, das die Wolters ihr mitgebracht hatten.
    Die beiden bedienten sich bei Chips und Salzgebäck, und ganz plötzlich, ganz ohne Vorwa rnung, beugte sich der Doktor auf der Couch vor, schob die riesige Brille mit dem rechten Zeigefinger um eine Winzigkeit auf der Nase zurück und fragte Achim: „Wissen Sie eigentlich, was Sie hier für ein Haus gekauft haben?“
    Achim sah ihn nur verständnislos an, aber Rike lie f ein Schaudern die Arme hinauf. Hatte sie es nicht geahnt?! Das Haus barg irgendein schreckliches Geheimnis!
    Achim hob eine Augenbraue. „Wie meinen Sie das?“
    Der Doktor lehnte sich auf dem Sofa zurück und faltete die Hände über dem Bauch. Auf seinem dunkelgrünen Wollpullover hatten sich ein paar Chips-Krümel verfangen. Seine Frau sah ihn von der Seite missbilligend an, entdeckte die Krümel, pflückte sie vom Pullover und erklärte: „Das hier ist ein sehr altes Haus, und über alte Häuser gibt es immer irgendwelche Geschichten. Und ich finde, mein Mann sollte Sie jetzt nicht mit solchen Gruselmärchen beunruhigen!“
    „ Ach bitte, ich möchte die Geschichte unbedingt hören!“ Rike war über ihren Protest mindestens selbst so überrascht wie Achim, der ihr einen besorgten Blick zuwarf.
    Wollte sie die Geschichte wirklich hören? Rike schenkte dem Doktor ein aufgesetztes L ächeln. „Erzählen Sie mir wenigstens die Kurzfassung, Dr. Wolter.“
    Der Doktor lächelte verhalten zurück und schaute, während er zu erzählen begann, abwec hselnd Achim, seine Frau und Rike an. „Vor mehr als zweihundert Jahren machten ein paar Bauern auf den Feldern Mittagspause. Im Dorf erzählten sie, dass sie plötzlich ein lautes Zischeln und Brutzeln über sich hörten und in 100 Metern Entfernung aus heiterem Himmel einen dicken, blauen Blitz in die Erde schießen sahen. Sie rannten davon. Später machte sich das halbe Dorf auf den Weg, um sich

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