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Das mittlere Zimmer

Das mittlere Zimmer

Titel: Das mittlere Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Lempke
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kleinen, blauen Wagen stieg, win kte sie dem Doktor noch einmal zu. Dabei fiel ihr Blick auf das Fenster im ersten Stock, hinter dem das Wohnzimmer lag, auf dessen Couch ihre Körper vorhin so lustvoll verschmolzen waren. Rike lächelte, aber einen Moment später schoss ihr eine Vorstellung durch den Kopf, die ihr die Knie weich werden ließen: sie dachte an das zweite Wohnzimmerfenster, das um die Ecke an der anderen Hausseite lag und das halb offen gestanden hatte. Und unter dem sich möglicherweise Achim herumgetrieben haben konnte, der ihr nachspioniert und eindeutige Geräusche aus dem Zimmer gehört hatte.
    Rike sich auf den Fahrersitz fallen und holte ein paar Mal tief Luft. Natürlich war es möglich, dass Achim hier gewesen war, aber natürlich war es auch möglich, dass sie sich vor lauter Schuldgefühlen jetzt selbst in Angst und Schrecken versetzte. Was würde Achim tun, wenn er wirklich mitbekommen hatte, was in Johanns Wohnzimmer geschehen war?!
    Rike sah zu Johann hinüber, der immer noch winkte. Was auch passierte, dort stand jemand, der sich um sie kümmern und sie beschützen würde. Alles andere war jetzt egal.
    Sie wendete, fuhr los und kam gerade noch rechtzeitig zum Mittagessen bei ihrer Mutter an. Sie erzählte ihr etwas von langen Schlangen an den Schaltern des Hauptpostamts. Dafür hatte ihre Mutter Verständnis, nicht aber für den Ton, den Achim am Vorabend Rikes Vater gegenüber angeschlagen hatte.
    „Ja, im Moment ist er unausstehlich“ , bestätigte Rike und kaute auf einem Stück Rinderbraten herum. „Die Sache hat ihn schwer mitgenommen ... am liebsten würde er sich gar nicht mehr daran erinnern. Lasst ihn doch einfach eine Weile in Ruhe.“
    Wenigstens schien sich die Polizei nicht bei ihren Eltern beschwert zu haben. Hatte Johann auch dafür gesorgt? Nach dem Essen half Rike ihrer Mutter beim Abwasch, dann fuhren sie zu dritt zum Supermarkt und kauften fürs Wochenende ein. Gegen vier Uhr war Rike mit Hannah wieder zu Hause. Sie gönnte sich eine kurze Kaffeepause und arbeitete anschließend wegen des schönen Wetters noch eine Zeitlang im Vorgarten.
    Je näher der Zeitpunkt von Achims Heimkehr rückte, desto unruhiger wurde sie. Was würde er tun, wenn er tatsächlich Zeuge ihres Ehebruchs m it dem ,Viehdoktor‘ geworden war? Würde es einen furchtbaren Streit geben? Würde er die Beherrschung verlieren und gewalttätig werden? Eigentlich traute sie ihm das nicht zu. Vielleicht sollte sie ihm vorsichtshalber eins seiner Lieblingsgerichte kochen.
    Um halb sieben stand sie mit Magendrücken am Herd, um sieben betrat Achim die Küche. Ihm klebte ein Lächeln im Gesicht, das so künstlich war, das es Rikes Magenschmerz vertiefte. Er trug eins seiner dunkelblauen Hemden, die Ärmel hochgekrempelt (so dass man seine blassen Unterarme mit den roten Striemen sehen konnte), die Krawatte sicher schon im Auto entfernt, die helle Haut im Gesicht gerötet, als hätte er sich einen leichten Sonnenbrand geholt.
    Er setzte sich an den Tisch und plauderte und scherzte mit Hannah, die ziemlich m üde war. Auch die Fröhlichkeit Hannah gegenüber wirkte vorgetäuscht. Und als er sich an Rike wandte, die gerade die Steaks aus der Pfanne auf die Teller verteilte, und fragte: „Was habt ihr denn den ganzen Tag so gemacht?“, blieb ihr fast das Herz stehen.
    Jetzt würde er mit dem herausrücken, was er wusste! Rike dachte an Johann und machte sich auf alles gefasst. Sie blieb mit der Pfanne in der Hand am Tisch stehen und meinte: „Ach, das Übliche. Ich hab heute Morgen das Haus geputzt, dann hab ich Hannah abgeholt, den Einkauf erledigt und noch ein wenig im Garten gearbeitet. Und du, was hast du so gemacht?“
    Achim nahm sich Kartoffeln auf seinen Teller. „Ich habe einen langen Spaziergang gemacht. Ich musste mir über einiges klar werden.“ Er stellte die Schüssel ab und sah auf. „Liebst du mich noch?“
    Ihr schien plötzlich etwas im Hals festzustecken, das sich kaum herunterschlucken ließ. Sie schaffte es fast nicht, seinem Blick standzuhalten. „Ja, natürlich!“, versicherte sie schließlich entrüstet, als enthalte allein die Frage eine unerhörte Unterstellung. Dabei war ihr nicht einmal klar, ob sie log oder nicht. Und sie konnte auch nicht erkennen, ob Achim ihr glaubte oder nicht. Sein Blick war seltsam starr, so als reiße auch er sich, aller zur Schau getragenen Leutseligkeit zum Trotz, ganz gewaltig zusammen.
    „Schön“ , nickte er. „Ich werde mich von nun an

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