Das mittlere Zimmer
wandte ihr sein Gesicht zu. „Was ist los? Warum regst du dich auf? Hast du etwa ein Recht, dich aufzuregen?“ Sein Ton war sanft, sein Blick der eines Me nschen, in dessen Kopf etwas entgleist ist. „Ich habe beschlossen, das Ganze zu beenden. Ich weiß nicht, wem wir diesen Alptraum zu verdanken haben, oder warum gerade uns das passiert ist. Aber wir kommen da nicht mehr raus.“
Er drehte sich weg, s chaute durch die Windschutzscheibe und redete weiter, wie zu sich selbst. „Es macht Stück für Stück unser Leben kaputt. Es nimmt uns unser Haus, unsere Arbeit, unsere Zeit, bis nichts mehr davon übrig ist. Das kann ich nicht zulassen. Ich bringe uns in Sicherheit. Ich beende das Leid.“
Das durfte nicht wahr sein ! Rike verrenkte sich (trotz der Kopfschmerzen, trotz der Übelkeit) auf ihrem Sitz derart, dass sie mit ihren auf den Rücken gefesselten Händen an den Türöffner kam. Sie zog daran, die Tür sprang auf, und im nächsten Moment packte Achim sie am Oberarm und hielt sie fest.
„Du bleibst schön hier, mein Schatz.“ In seine Stimme schlich sich ein hasse rfüllter Ton. „Ich finde es ganz reizend von dir, dass du mich in dieser beschissenen Situation auch noch so dreist hintergehst. Aber eins sage ich dir: wenn ich dich nicht haben kann, dann soll dich auch sonst niemand haben.“
Er wusste alles. Rike wehrte sich erst gar nicht. Die Beifahrertür schloss sich lan gsam wieder, und Rike lehnte sich zurück. Ihre Hände mussten eingeschlafen sein, denn sie spürte sie nicht mehr. Sie atmete so flach wie möglich, aber in ihrem Gehirn machte sich allmählich leichte Benommenheit breit.
Minute um Minute saß sie reglos neben Achim, hörte, wie er immer wieder tief eina tmete, hörte, wie hinter ihr Hannah immer seltener mit dem Kopf gegen die Rücklehne hämmerte, fragte sich, wie lange es dauerte, bis es vorbei war, und begriff nicht, wieso sie vor lauter Schmerz und Verzweiflung und Angst nicht den Verstand verlor.
Plötzlich merkte sie, dass sich Achims Griff um ihren Arm lockerte. Sofort hielt sie den Atem an. Es dauerte nicht lange, bis Achims Hand von ihr abrutschte und zw ischen die Sitze fiel. Rike sah ihn von der Seite an: seine Augen waren halb geschlossen, er atmete geräuschlos und sehr langsam durch den offen stehenden Mund. Hatte ihn das Gas schon ausreichend betäubt? Hatte sie noch eine Chance?
Sie dachte nicht weiter darüber nach, ließ sich seitwärts fallen, gegen die Tür, die nur ang elehnt war und jetzt aufschwang, so dass Rike in Zeitlupe, wie ihr schien, aus dem Auto auf den Betonfußboden der Garage kippte.
Dumpfes Dröhnen im Kopf, Übelkeit und Schwindel, aber sie fühlte keinen Schmerz, als sie mit den Knien und einer Schulter aufschlug. Eine We ile lag sie da und starrte benommen die Betonwand vor ihrer Nase an, aber etwas in ihr drängelte und warnte, dass ihr nicht viel Zeit blieb.
Mit einer gewaltigen Willensanstrengung schaffte sie es, sich so weit aufz urichten, dass sie kniete. Was sie dann sah, ließ sie fast wieder zusammensinken: keine drei Meter von ihr entfernt lehnten zwei gefesselte Menschen an der Garagenwand. Ihre Mutter, ihr Vater. Ganz in der Nähe des Auspuffs. Rike hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Wenn sie noch irgendjemanden retten wollte, durfte sie keine Sekunde mehr verlieren!
Instinktiv wandte sie sich dem Garagentor zu. Weg vom Auspuff, weg von der hint eren Tür, denn die war garantiert abgeschlossen. Sie rutschte auf Knien um die Autotür herum, aber das ging ihr zu langsam, zumal sie vor lauter Schwindel ständig nach vorn, hinten oder seitwärts zu kippen drohte. Sie ließ sich auf den Rücken fallen und schob sich, Kopf voran, bis zum Tor. Heftig schnaufte sie durch die Nase. In ihrem Kopf pochte dumpfer Schmerz. Schwarze Flecke tanzten vor ihren Augen. In ihren Ohren rauschte das Blut. Sie wusste, dass sie kurz davor war, das Bewusstsein zu verlieren.
Mit Mühe kramte sie aus den Tiefen ihrer Erinnerung ein Bild hervor: der Mo nteur mit den vorstehenden Zähnen hatte ihr am Vortag das Öffnen und Schließen des Tors erklärt. Im Schloss, das ziemlich weit unten im Tor eingelassen war, gab es einen Stift, den man von innen nach links bzw. rechts schieben musste.
Rike rollte sich auf die Seite und tastete mit den Händen hinter ihrem Rücken nach dem Schloss. Ihre Arme und Hände zitterten. Die schwarzen Flecke wurden größer. Ihre Finger suchten den Stift. Und fanden ihn. Sie schob ihn nach rechts. Jetzt mus ste
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