Das mittlere Zimmer
haben extra eine Handy-Ortung durchgeführt, aber Sie haben ja sogar die Handys zu Hause gelassen!“ Das klang irritiert. „Und noch was, wenn wir noch mal eine unnötige Hau sdurchsuchung durchführen müssen, können Sie mit erheblichen Kosten rechnen. Haben Sie das so weit verstanden?“
„Ja, und vielen, vielen Dank für Ihr Verständnis, das wird natürlich nie wieder vorko mmen!“ Rike bedankte sich ein weiteres halbes Dutzend Mal und fühlte sich einfach nur erleichtert. Hatte sie es nicht geahnt? Nicht Achim, sondern Johann erwies sich als derjenige, der in der Lage war, die Situation unter Kontrolle zu bringen!
Gegen halb neun fuhr ein Lastwagen vor, der das Garagentor geladen hatte. Die Handwerker brauchten nur eine Dreiviertelstunde, um das Tor einzubauen, denn überraschenderweise passte alles auf Anhieb zusammen. Rike trank noch eine Tasse Kaffee mit ihnen, bevor sie sich auf den Weg zu Johann Wolter machte.
Ihr war völlig klar, dass sie ihn nach dem, was am Vortag vorgefallen war, wiedersehen musste. Von ihrer Sehnsucht nach ihm gar nicht zu reden. Extra für ihn hatte sie sich umgezogen und war, da der Tag wieder sonnig und warm zu werden versprach, in einer dünnen, mandarinenroten Bluse unterwegs, die genauso knapp saß wie die Jeans.
Sie parkte ihr Auto demonstrativ deutlich sichtbar vor Wolters Haus. Sie hegte nä mlich den Verdacht, dass Achim gar nicht ins Geschäft gefahren war, sonder ihr nachspionierte. Aber sie tat ja nichts Unrechtes, sie wollte nur mit Johann, dem armen Witwer, reden. Das durfte jeder wissen.
Als sie auf das große Backsteinhaus mit den blauen Fensterläden zuging, fiel ihr s ofort das Schild an der Eingangstür ins Auge. Als sie davor stand, las sie:
Wegen Notfall
heute keine Sprechstunde
Notfall? War Johann etwa gar nicht da? Vor Enttäuschung kamen Rike die Tränen. Sie kli ngelte trotzdem, und als Johann öffnete, fiel ihr ein Stein vom Herzen. „Ach Gott sei Dank! Ich hab schon befürchtet, du wärst zu irgendeinem verunglückten Pferd unterwegs!“
Johann ließ sie eintreten und schloss die Tür. Seine unvergleichlichen Bernsteinaugen läche lten ein ganz klein wenig amüsiert. „Ich dachte mir schon, dass du kommst. Du bist der Notfall.“
„Das ist lieb von dir.“ Rike hätte beinah aus Verlegenheit vor so viel liebevoller A nteilnahme zu Boden geschaut, aber Johanns Blick ließ sie nicht los. Darin war etwas Fesselndes, etwas Zärtliches und zugleich Fremdes und Wildes. Wie auf ein geheimes Zeichen fielen sie sich plötzlich in die Arme und küssten sich so voller Leidenschaft, dass es Rike heiß und schwindlig und lustvoll zumute wurde.
Am liebsten hätte sie Johann gar nicht mehr losgelassen, aber er löste sich von ihr, sah sie unverwandt an und fragte: „Kommst du mit nach oben? Ins Schlafzimmer?“ In seinen Augen brannte ein Verlangen, das ihr fast Angst machte. Einerseits.
Sie wich seinem Blick aus. „Ich ... also eigentlich möchte ich schon , aber ich weiß genau, dass ich mir hinterher schwerste Vorwürfe machen würde. Wegen Achim.“
Sie sah ihn wieder an. Johann lächelte gequält. „Nun, dann sollten wir erst recht nach oben gehen und uns gegenseitig kalt abduschen.“
„Nein, danke. Ich hasse kaltes Wasser.“ Sie beobachtete ihn, aber er lächelte immer noch. Traurig jetzt.
„Friederike Eberhardt, trinkst du dann wenigstens einen Kaffee mit mir?“
Konnte sie ihm vertrauen? Würde er die Situation ausnutzen? Konnte sie sich selbst trauen? Sicher, sie würde einen Kaffee mit ihm trinken und sonst nichts!
„Ja, natürlich.“
Johann wies mit der Hand zur Treppe. Während sie vorausging, meinte Rike seine Blicke auf ihrem ganzen Körper zu spüren. Sie steuerte die Küche an, aus der es nach frischem Kaffee duftete, aber Johann war bereits an ihrer Seite und schob sie weiter ins Wohnzimmer. „Lass uns hier unseren Kaffee trinken. Auf dem Sofa können wir ein bisschen zusammenrücken.“
Rike setzte sich auf das mittlere der drei Ledersofas , und Johann eilte in die Küche. Die Sonne schien durch eins der Wohnzimmerfenster, dessen einer Flügel halb offen stand und milde Frühsommerluft hereinließ und leises, fernes Muhen von Kühen und ab und zu das Motorengeräusch eines vorbeifahrenden Autos.
Rike lehnte sich zurück und schloss die Augen. War es richtig, dass sie hier war? Wieso nicht? Das Schicksal ihrer Familie war ungeklärt, Achim entwickelte sich langsam, aber s icher zum Irren, und irgendwo musste sie sich
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