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Das mittlere Zimmer

Das mittlere Zimmer

Titel: Das mittlere Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Lempke
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Tür.
    Dachte ich noch, während ich die Treppe hinaufrannte, Antonia wolle mich auf diese We ise zu Hilfe rufen, weil ihr vielleicht etwas zugestoßen war, so wurde ich fünf Sekunden später eines Besseren belehrt.
    Auf der letzten Treppenstufe angekommen, sehe ich, wie dieses Weib mit einer Axt das Holz um das Türschloss des mittleren Zimmers bearbeitet. Schon holt sie wieder aus, schlägt zu - die Tür springt auf und Antonia sieht, was dahinter ist.
    Sie erstarrt zur Salzsäule und kann den Blick nicht abwenden von der gewaltigen Isis, die schon über zwei Stockwerke aus dem Keller gewachsen ist und über die Hälfte des mittleren Zimmers ausfüllt. Isis, die Menschen aus Raum und Zeit herausnimmt (wie auch immer sie das macht!) und dadurch Energie gewinnt, die sie für irgendetwas braucht. Wofür? Um heimzukehren? Ich habe nicht die blasseste Ahnung. Niemand auf dieser Erde wird je verstehen, was sie tut, wie sie es tut, und warum sie es tut. Aber was phantasiere ich hier herum?! Ich habe ihr mein Haus und mein Leben zur Verfügung gestellt, und ich habe dafür zu sorgen, dass ihre Existenz geheim bleibt!
    Zurück zu Antonia. Diese nämlich dreht sich plötzlich zu mir um, die schwarzen Augen aufg erissen, der große, volle Mund halb geöffnet, die Axt in der Hand. Ich nehme sie ihr weg und herrsche sie an: Bist du jetzt zufrieden?! Ist dir klar, dass du das nicht hättest sehen dürfen?!
    In ihren Augen leuchtet eine mit Entsetzen gemischte Wut auf, und mit ihrem u nüberhörbaren Akzent schreit sie mir ins Gesicht: Ich wusste doch, dass du bist eine Ungeheuer!
    Sie wendet sich ab und will davonlaufen. Natürlich kann ich sie nicht gehen lassen, und in diesem Moment lodern tiefe Enttäuschung und heißer Zorn in meinem Herzen auf, und ich reiße die Axt empor und spalte Antonia den Schädel. Man kann sich vorstellen, dass es d anach in meinem Flur aussah wie in einem Schlachthaus.
     
    Rike warf das Heft auf den Schreibtisch und hielt sich beide Hände vor den Mund. Fast hätte sie sich wieder übergeben. Aber dazu blieb ihr diesmal keine Zeit, denn plötzlich sah sie, wie Johanns Auto zur Einfahrt hereinbog. Sie trat sofort vom Fenster weg.
    Wieso war er schon zurück? Das konnte nicht sein! Was sollte sie denn jetzt tun!
    Sie hörte auf zu denken, griff nach der Kladde, rannte um den Schreibtisch und versuchte, das Heft in die mit Pappe markierte Lücke zu schieben. Das wollte überhaupt nicht klappen, denn ihre Hände zitterten unkontrollierbar und fast wie im Krampf. Das Wegstecken des Hefts schien Stunden zu dauern, während unten im Haus Johann nach ihr zu rufen begann.
    In ihrem Verstand gab es nur noch einen Gedanken: Er durfte sie nicht in diesem Zimmer finden!
    Während sie endlich (nach Stunden, wie ihr schien! Viel zu spät!) die Schranktüren schloss, meinte sie schon Johann mit der Axt in ihrem Rücken zu spüren. Sie drehte sich um und lief auf die Ecke hinter dem Vorhang zu.
    „Rike, wo bist du?“, rief Johann, und er musste inzwischen im ersten Stock angekommen sein. „Ich hab die großen Kanülen vergessen! Wo hast du sie hingetan? Ich kann sie nicht finden! Rike, hörst du mich? Wo steckst du?“
    Rike kroch in die Ecke und zog den Vorhang hinter sich zu. Sie beeilte sich so, dass sie sich den Kopf stieß und sich beim Hindurchwinden durch die Öffnung zwei Finger einklemmte. Doch noch spürte sie keinen Schmerz. Sie drückte die Platte in die Öf fnung und kauerte sich in die Ecke daneben. Der Weg nach unten war ihr versperrt, denn Johann kam jetzt die Treppe zum Dachboden hoch.
    „Rike, bist du hier oben?“
    Dachte er, sie hänge Wäsche auf, oder dachte er, sie spioniere in seinem Arbeitszimmer herum? Rike atmete flach und lautlos und bewegte sich nicht. Trotzdem war sie sicher, er könne ihren Herzschlag hören oder ihren Schweiß riechen oder einfach ihre Anwesenheit spüren.
    Johann öffnete die Tür zum Trockenspeicher und schaltete die nackte Glühbirne ein. „Rike?“
    Sieh nicht in die Ecke! Sieh nicht in die Ecke!, flehte sie, und ihr Flehen wurde erhört.
    Johann machte das Licht aus und zog die Tür hinter sich zu. Eigentlich hatte sie e rwartet, dass er nun wieder nach unten in die Praxis ging und die Sachen zusammensuchte, die er vergessen hatte. Stattdessen hörte sie, wie er die Tür zum Arbeitszimmer aufschloss. Das konnte doch nur bedeuten, dass er vermutete, dass sie sich dort aufhielt. Denn in seinem Tagebuch schreiben wollte er jetzt wohl kaum. Hieß das auch,

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