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Das mittlere Zimmer

Das mittlere Zimmer

Titel: Das mittlere Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Lempke
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trinken.
    Als ich zurückkomme, sitzt die Familie bereits beim Frühstück (von einer bestimmten Stelle an der Straßenböschung kann man gut mit dem Fernglas in die Küche sehen!) Nach einer We ile verlässt ihr Mann mit dem Kind die Küche durch die linke Tür Richtung Garten.
    Ein paar Minuten später läuft Rike hinter ihnen her. Ich bin in höchster Alarmberei tschaft, gebe meinen Beobachtungsposten auf und eile gebückt und hinter Sträuchern Deckung suchend zum Haus hinunter. Wo sind sie bloß alle? In der Garage? Ich verstecke mich hinter einem Busch an der Zufahrt zur Garage und weiß nicht recht, was ich machen soll.
    Fünf Minuten lang beobachte ich das geschlossene Garagentor und die Haustür, als oben an der Straße ein Wagen anhält, und Rikes Eltern auf das Haus zu eilen. Sie wirken sehr aufgeregt und stürmen, als Achim ihnen die Tür öffnet, sofort in den Flur. Dann höre ich ein paar dumpfe Geräusche aus der Garage, dann tut sich wieder minutenlang nichts.
    Ich erinnere mich plötzlich, dass die Garage ja eine Tür zum Garten hin hat . Ich schleiche mich zum Gartenzaun, klettere hinüber und suche Deckung hinter einem dicken Baumstamm. Die hintere Tür steht ebenfalls nicht auf. Und während ich noch überlege, was ich nun tun soll, wird mir allmählich klar, was dieser Mann vorhat. Ich muss sofort handeln. Ich renne zur hinteren Garagentür und will sie aufreißen.
    Sie ist abgeschlossen. Bis die Feuerwehr hier ist, kann es zu spät sein. Ich beschli eße eine Axt zu holen. Als ich um die Garage herum wieder nach vorne laufe, sehe ich, wie das Tor für einen Moment hoch schwingt, nicht weit, aber weit genug, dass ich einen Menschen dort liegen sehen kann. Rike.
    Das Tor klappt wieder zu. Ich bin sofort zur Stelle, reiße es ein Stück auf und ziehe Rike aus der Garage. Sie ist bewusstlos, aber sie atmet noch. Ich entferne das Klebeband von i hrem Mund und schneide die Klebebänder durch, die um ihre Hände und Füße gewickelt sind. Dann richte ich ihren Oberkörper auf, damit sie besser Luft bekommt. Sie schlägt sogar einmal kurz die Augen auf. Ob sie mich erkennt, weiß ich nicht.
    Ich kann kaum einen klaren Gedanken fassen. Aus dem Augenwinkel bemerke ich, dass das Garagentor wieder zugefallen ist. Das Geräusch des laufenden Motors ist jetzt kaum zu h ören. Ich weiß, dass noch mehr Menschen in der Garage sind. Aber ich muss mich um Friederike kümmern. Ich will sie. Nur sie.
    Und so warte ich eine Viertelstunde, bevor ich den Krankenwagen rufe. Möglicherweise schade ich damit Friederikes Gesundheit. Aber ich bin, trotz allem, auch nur ein Mensch ... ich kann nicht anders.
    Sobald der Notarzt verständigt ist, öffne ich das Garagentor und sehe mir die Katas trophe an: Rikes Eltern, ihre Tochter und ihr Mann selbst sind dem Wahnsinn zum Opfer gefallen. Zunächst stelle ich den Motor ab, schleife Rikes Mutter und Vater einen nach dem anderen nach draußen, zerschneide die Fesseln, fühle den Puls. Beide sind tot. In der Ferne höre ich bereits die Sirenen der Rettungswagen.
    Ich befreie Hannah aus dem Kindersitz und von den Fesseln, trage sie ins Freie und lege sie neben ihrer Mutter auf den Boden. Das kleine Mädchen mit den blonden Zöpfchen ist so tot wie ihre Großeltern. Traurig ist es, das Ganze, aber ich muss we itermachen.
    Achim aus der Garage zu holen, widerstrebt mir mächtig, aber ich darf mir jetzt keinen Fe hler leisten. Ich zerre ihn vom Beifahrersitz und schleife ihn vor die Garage. Er lebt nicht mehr. Warum trägt er diese farbverschmierte Hose? War sie Teil eines Täuschungsmanövers, um Rike in die Garage zu locken?
    Ich sehe nach ihr. Sie ist sehr bleich, ihr Atem geht schwer und rasselnd. Das ist kein gutes Zeichen. Der Notarztwagen schießt durch die Einfahrt, die Rettungswagen hi nterher.
     
    Rike ließ das Heft sinken. Sie hatte das Gefühl, jeden Moment ins Bodenlose zu stürzen. Ihr Gehirn schien sich zu drehen. Die Luft wurde ihr knapp. Was hatte sie da gerade gelesen? Das konnte nicht sein! Hannah war nicht tot, Hannah war verschwunden!
    Sie hielt das Heft vors Gesicht und las die Stelle noch einmal. Und noch einmal. Aber i rgendwie wollten die Worte, die sie las, nicht in ihr Bewusstsein. Sie waren zu groß, zu sperrig, zu schwer, zu undenkbar. Das konnte nicht sein. Hannah war nicht tot! Hannah war verschwunden! Und sie würde wieder auftauchen!
    Wann? , flüsterte es in ihrem Hinterkopf. Müsste sie nicht längst wieder da sein?
    „Nein!“ , schrie Rike und

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