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Das Möwennest (Het Meeuwennest) (German Edition)

Das Möwennest (Het Meeuwennest) (German Edition)

Titel: Das Möwennest (Het Meeuwennest) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Biesenbach
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kein Ziel und flog in die Dunkelheit.
    Sems Nackenhaare hatten sich aufgestellt. Mühsam presste er die übrige Luft aus den Lungen und bemühte sich ruhig zu atmen. Er hätte schwören können, dass sich jemand von hinten versucht hatte zu nähern. 
    Im Schein der Taschenlampe suchte er den Boden ab. Abgesehen von seinen Schuhabdrücken im Möwenkot konnte er allerdings keine weiteren Spuren ausmachen.
    Seltsam, ganz, ganz seltsam.
    „Cool bleiben! Die Planke ist nur in die Ursprungsposition zurückgekehrt, weiter nichts“, versuchte er sich zu beruhigen und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das andere Ende der Terrasse. 
    Mit dem Fuß schob er eine geköpfte Möwe aus seinem Trittbereich und näherte sich. Der Lichtkegel erfasste nun schon fast den Abbruchbereich und wenn seine Augen ihm keinen Streich spielten, dann konnte er am äußeren Geländer etwas oder jemanden erkennen.
    Sklaaten! Jetzt bist du dran, du Mistkerl!
    Ohne es zu wollen, wurden Sems Schritte schneller.
    Er legte ein, zwei, drei Meter zurück.
    Der Lichtkegel traf die Gestalt jetzt vollends. Die hochaufgeschossene Person lehnte über dem Geländer und hatte ihm den Rücken zugewandt. Sie trug einen langen dunklen Regenmantel und rührte sich nicht. Ihr Blick war scheinbar starr auf die tobenden Wellen gerichtet zu sein.
    Sem spürte ein Kribbeln in den Fingern. Fünf lange Jahre hatte er auf diesen Augenblick warten müssen. Ein Gefühl des Triumpfes breitete sich in seinem Innersten aus. Die Waffe war entsichert, er würde nur noch abdrücken müssen, aber so einfach wollte er es Ari Sklaaten nicht machen. Der Mann sollte leiden, genau wie er Sems Vater hatte leiden lassen. Er wollte Aris Hand oder besser gleich beide.
    Auge um Auge, Zahn um Zahn , dachte er und machte einen weiteren Schritt.
    Der Mann am Geländer rührte sich nicht. Eine der großen, schwarzen Möwen saß auf seiner Schulter.
    Der Kerl hat wirklich kranke Vorstellungen, was seine Haustiere angeht. 
    Noch ein Schritt und noch einer. Sem fixierte die Gestalt und blendete alles andere aus. Der Regen, der unerbittlich auf ihn trommelte, und der Sturm, der aus allen Richtungen an ihm zerrte, waren nur noch schwache Nebenerscheinungen, die er einfach ignorierte. Das Knarren und Ächzen der vom Wetter angegriffenen Holzplanken unter seinen Füßen, in diesem Moment unwichtige Hintergrundgeräusche. Die kopflos herumliegenden Möwen,  gleichermaßen grausige wie lächerliche Statisten auf einer Jagd, die soeben ihren Höhepunkt fand und gleich enden würde.
    Noch ein Schritt.
    Sem atmete schneller, sein Herz hämmerte. Das Kribbeln in den Fingern wurde stärker. Adrenalin rauschte durch seinen Körper.
    Ihn trennten kaum noch zwei Meter vom Mörder seines Vaters.
    Jetzt war die Zeit der Rache. Jetzt.
    Sem erhob die Stimme. Spielend übertönte er ergriffen von Zorn und Genugtuung den Sturm und die sich brechenden Wellen.
    „Es ist aus, Sklaaten! Es ist lange her, aber für das, was du getan hast, wirst du büßen!“
    Der Angesprochene rührte sich nicht. Nur der schwarze Vogel hatte sich im Schein der Taschenlampe umgedreht und sah ihn aus zwei tiefroten Augen an, bevor er ein dunkles Krächzen von sich gab.
    „Mach keine Dummheiten, Sklaaten. Langsam umdrehen!“, brüllte Sem.
    Keine Reaktion.
    Ein Schuss dröhnte. Die Kugel schlug rechts neben dem Mann durch das Metallgeländer. Funken stoben in die Nacht. Die Möwe flatterte erschrocken auf und verschwand in der Nacht. Sem hörte ihr Jammern im Sturm untergehen. Ari Sklaaten jedoch zeigte keine Reaktion. Sem machte noch einen Schritt auf ihn zu.
    „Umdrehen, habe ich gesagt!“, fauchte er und kam noch näher heran, als wieder nichts geschah.
    Und dann stand er endlich direkt hinter ihm.
    Respektlos und ignorant starrte Ari weiter hinunter in die Fluten.
    „Du verdammter Hurensohn! Dreh dich um wenn ich mit dir rede!“, schrie Sem und schlug wuchtig mit der Taschenlampe zu. Das Metall traf Aris linkes Schulterblatt. Das humorlose Knacken zerberstender Knochen breitete sich über der Terrasse aus. Es war nicht sehr laut und doch kam es Sem vor, als habe er noch nie etwas Eindringlicheres und Grässlicheres gehört. Es war ein Geräusch, das entfernt an das Zerbrechen von dünnen, vertrockneten Ästen erinnerte, wenn man unbedacht im Herbst darauf trat, nur schwang in diesem Geräusch deutlich mehr Tod mit.
    Die vorn übergebeugte Gestalt sackte langsam zusammen und mit jedem Zentimeter fügte sich ein Knacken an

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