Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
Vom Netzwerk:
acharys Zimmer in der Pension in Watsongunge war so schmal, dass man sich kaum darin umdrehen konnte, das Bett ein mit Seilen bespannter Holzrahmen, über den er eine Schicht Kleider gebreitet hatte, um seine Haut vor den stacheligen Koskosfasern zu schützen. Am Fuß des Betts, so nahe, dass er fast seine Zehen auf dem Rand abstützen konnte, befand sich ein Fenster, oder eher eine viereckige Öffnung, die ihre Läden längst eingebüßt hatte. Sie ging auf die Watsongunge Lane hinaus, eine gewundene Kette von Bordellen und Pensionen, die bis zu der Werft reichte, in der die Ibis für ihre nächste Fahrt kielgeholt, instand gesetzt, neu ausgerüstet und kalfatert wurde. Mr. Burnham war nicht sehr erbaut gewesen, als er von Zacharys Logis erfuhr. »Watsongunge? Einen gottloseren Ort gibt es nicht auf Erden, vom Bostoner North End einmal abgesehen. Warum sollte jemand in einer solchen Gegend absteigen, wenn er genauso gut die einfache Bequemlichkeit von Reverend Johnsons Missionshaus für Seeleute genießen kann?«
    Zachary hatte sich das Missionshaus pflichtschuldigst angesehen, um jedoch schleunigst wieder das Weite zu suchen, nachdem er Mr. Crowle erspäht hatte, der sich bereits dort einquartiert hatte. Auf Jodus Rat hatte er sich stattdessen für die Pension in der Watsongunge Lane entschieden, deren Nähe zur Werft ihm als Ausrede gedient hatte. Ob er seinen Arbeitgeber damit überzeugt hatte, war ihm nicht recht klar –
seit Kurzem hegte er den Verdacht, dass Mr. Burnham einen Spion auf ihn angesetzt hatte. Einmal hatte es zu verdächtig später Stunde an seiner Tür geklopft, und Mr. Burnhams Gumashta hatte draußen gestanden. Der Mann hatte seinen Hals hierhin und dorthin gereckt, wie um zu sehen, ob Zachary jemanden in sein Zimmer geschmuggelt hatte. Auf die Frage, was er hier mache, hatte er behauptet, er überbringe ein Geschenk. Zachary hatte eine Falle gewittert und das Geschenk, das sich als ein Topf voll halb geschmolzener Butter entpuppte, nicht angenommen. Später hatte ihm der Besitzer der Pension, ein Armenier, hinterbracht, dass der Gumashta ihn gefragt habe, ob Zachary manchmal in Begleitung von Prostituierten gesehen werde. Seit seiner Begegnung mit Paulette erschien Zachary die Vorstellung, sich eine Frau zu kaufen, abstoßend, und so war die Schnüffelei des Gumashtas unbelohnt geblieben. Doch der Mann hatte sich nicht abschrecken lassen. Vor einigen Tagen hatte Zachary ihn abends in der Gasse umherschleichen sehen, in einer grotesken Verkleidung: einem orangefarbenen Gewand, in dem er ausgesehen hatte wie eine Irre.
    Als Zachary daher eines Nachts von einem leisen, aber beharrlichen Klopfen geweckt wurde, war seine erste Reaktion ein schroffes »Sind Sie das, Pander?«
    Da keine Antwort kam, rappelte er sich schlaftrunken hoch und zog die lungī fest, die er neuerdings nachts trug. Er hatte sich gleich mehrere gekauft; eine hatte er vor das Fenster gespannt, um die Krähen und den Staub, der in Wolken von der ungepflasterten Gasse aufstieg, fernzuhalten. Gegen den Lärm, der von draußen hereindrang, richtete der provisorische Vorhang allerdings nichts aus. Nachts amüsierten sich Seeleute, Laskaren und Hafenarbeiter in den Kaschemmen und Bordellen, und Zachary hatte herausgefunden, dass der Lärmpegel
um Mitternacht seinen Gipfel erreichte und bei Tagesanbruch allmählich auf null sank. Im Moment lag er weder am höchsten noch am niedrigsten, also mussten es noch zwei oder drei Stunden bis Tagesanbruch sein.
    »Ich schwöre Ihnen, Pander«, knurrte Zachary wütend, als das Klopfen nicht aufhörte, »wenn Sie nicht einen guten Grund dafür haben, mich hier aus dem Schlaf zu reißen, dann lernen Sie mich kennen.« Er schob den Riegel zurück und öffnete die Tür, aber im Flur war kein Licht, und er konnte nicht gleich sehen, wer draußen stand. »Wer sind Sie?«
    Als Antwort kam ein Flüstern: »Jodu, Sir.«
    »Schockschwerenot!« Verblüfft ließ Zachary den Besucher eintreten. »Was zum Teufel behelligst du mich mitten in der Nacht?« Ein Verdacht glomm in seinen Augen auf. »Moment mal – Serang Ali schickt dich, stimmt’s?«, sagte er. »Sag dem Scheißer, er kann mich mal.«
    »Stopp, Sir!«, sagte Jodu. »Serang Ali nicht schickt.«
    »Was machst du dann hier?«
    »Abholen soll, Sir!« Jodu bedeutete Zachary, ihm zu folgen. »Zu Boot.«
    »Wo soll ich hin?«, fragte Zachary gereizt. Statt einer Antwort reichte Jodu ihm seine baniyāin , die an der Wand hing. Als Zachary nach seinen

Weitere Kostenlose Bücher