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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Hosen griff, schüttelte Jodu den Kopf, als wollte er ihm zu verstehen geben, dass eine lungī genüge.
    »Anker licht, Sir! Fahrt voraus!«
    Zachary schlüpfte in seine Schuhe und folgte Jodu ins Freie. Rasch gingen sie die Gasse hinunter in Richtung Fluss, vorbei an Arrakbuden und Puffs, von denen die meisten noch geöffnet hatten. Nach wenigen Minuten hatten sie die Gasse hinter sich gelassen und kamen an einen wenig frequentierten Uferabschnitt, an dem mehrere Dingis vertäut
lagen. Jodu zeigte auf eins von ihnen und wartete, bis Zachary eingestiegen war, dann warf er die Taue los und stieß das Boot ab.
    »Moment mal!«, rief Zachary, als Jodu zu rudern begann. »Wo bringst du mich hin?«
    »Vor schauen!«
    Wie zur Antwort hörte man, wie ein Feuerstein angeschlagen wurde. Zachary fuhr herum und sah unter einem gewölbten Strohdach am Ende des Boots etwas aufblitzen. Der nächste Funke erleuchtete einen Moment lang die vermummte Gestalt einer Frau im Sari.
    Zachary sah seinen Verdacht bestätigt und drehte sich wütend zu Jodu um. »Hab ich’s mir doch gedacht – bisschen Hurenhökern, was? Damit das klar ist: Wenn ich irgendwo Anker werfen will, dann find ich da schon selber hin. Ich brauch keinen, der mir den Weg zeigt …«
    Er wurde von einer Frauenstimme unterbrochen, die ihn beim Namen nannte. »Mr. Reid.«
    Als er genauer hinschaute, fuhr die Frau im Sari fort: »Ich bin’s, Mr. Reid.« Wieder blitzten Funken auf, und Zachary erkannte Paulette.
    »Miss Lambert!« Er schlug die Hand vor den Mund. »Sie müssen mir verzeihen. Ich wusste nicht … hab Sie nicht erkannt …«
    »Sie sind es, der mir verzeihen muss, Mr. Reid, dass ich mich so aufdränge.«
    Zachary nahm ihr den Feuerstein aus der Hand und zündete eine Kerze an. Als er damit zurande gekommen war und ihre Gesichter von dem schwachen Schein erhellt wurden, sagte er: »Wenn ich mir die Frage erlauben darf, Miss Lambert – warum tragen Sie einen … einen …«
    »Sari?«, soufflierte Paulette. »Ich habe mich verkleidet,
könnte man sagen – allerdings kommt es mir weniger wie eine Travestie vor als das Kleid, das ich anhatte, als Sie mich das letzte Mal gesehen haben.«
    »Und was führt Sie hierher, Miss Lambert, wenn ich mir die Frage erlauben darf?«
    Sie schwieg, als dächte sie darüber nach, wie sie es am besten erklären sollte. »Erinnern Sie sich, Mr. Reid, dass Sie gesagt haben, Sie würden sich freuen, mir zu helfen, wenn ich einmal Hilfe bräuchte?«
    »Natürlich … aber …« Er merkte selbst, wie zweifelnd es klang.
    »Dann haben Sie das also nicht ernst gemeint?«, fragte Paulette.
    »Doch, natürlich. Aber wenn ich behilflich sein soll, muss ich wissen, worum es geht.«
    »Ich hatte gehofft, Sie könnten mir zu einer Passage verhelfen, Mr. Reid.«
    »Wohin?«, fragte er beunruhigt.
    »Zu den Maurice-Inseln. Wo Sie hinfahren.«
    »Nach Mauritius? Wieso fragen Sie nicht Mr. Burnham? Er ist derjenige, der Ihnen da helfen kann.«
    Paulette räusperte sich. »Das geht leider nicht, Mr. Reid. Wie Sie sehen, stehe ich nicht mehr unter Mr. Burnhams Protektion.«
    »Und warum nicht, wenn ich fragen darf?«
    »Müssen Sie das wirklich wissen?«, fragte sie leise.
    »Wenn ich behilflich sein soll – ja.«
    »Es ist kein angenehmes Subjekt, Mr. Reid.«
    »Machen Sie sich meinetwegen keine Sorgen, Miss Lambert«, sagte Zachary. »Mich kann nichts so leicht erschüttern.«
    »Gut, wenn Sie darauf bestehen …« Paulette schwieg für einen Moment, um sich zu sammeln. »Erinnern Sie sich an
neulich Abend, Mr. Reid? Als wir über Buße und Strafe konversiert haben? Ganz kurz?«
    »Ja, ich erinnere mich.«
    »Mr. Reid«, fuhr Paulette fort und zog sich ihren Sari enger um die Schultern, »als ich nach Bethel kam, hatte ich keine Idee von diesen Dingen. Ich wusste nichts von der Heiligen Schrift, von religiösen Subjekten überhaupt. Mein Vater, müssen Sie wissen, hegte einen großen Abscheu gegen Geistliche – was bei Menschen seiner Epoche nicht ungewöhnlich war …«
    Zachary lächelte. »Oh, das gibt’s auch heute noch, Miss Lambert, diese Abneigung gegen Pfaffen und Kuttenträger – und daran wird sich auch so schnell nichts ändern, würde ich sagen.«
    »Sie lachen, Mr. Reid«, sagte Paulette, »mein Vater hätte da auch gescherzt – seine Aversion gegen die bondieuserie war wirklich sehr groß. Aber Mr. Burnham versteht bei diesen Subjekten, wie Sie wissen, keinen Spaß. Als er das Ausmaß meiner Ignoranz erkannte, war er

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