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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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befördern, doch zur allgemeinen Überraschung entstiegen ihm nur zwei Männer, die beide nicht sehr bedrohlich wirkten, obwohl sie an Händen und Füßen mit Ketten gefesselt waren. Sie trugen Payjamas aus grobem Baumwollstoff und ärmellose Westen, und jeder hatte eine Wasserkanne unter dem einen und ein Stoffbündel unter dem anderen Arm. Sie wurden ohne viel Aufhebens Bhairo Singh übergeben, und das Gefängnisboot legte sofort wieder ab. Wie um ihnen zu zeigen, was ihnen bevorstand, packte der Subedar ihre Ketten und trieb sie wie Ochsen vor sich her, versetzte ihnen Fußtritte und schnippte hin und wieder mit seinem Stock an ihren Ohren.
    Bevor sie zu ihrer Zelle hinabstiegen, wandte einer der beiden den Kopf, um einen letzten Blick auf die Stadt zu werfen. Sofort ließ Bhairo Singh mit solcher Wucht seine lāthī auf seine Schulter herabsausen, dass sogar die Vortoppmänner hoch oben auf dem Mast von dem Geräusch zusammenzuckten.
    »Harāmzādās , diese Wachen und Mistris«, sagte Mamdu-Tindal. »Die schinden einen, wo sie nur können.«
    »Einer von denen hat gestern Cassem-meah geschlagen«, sagte Sunker. »Bloß weil er sein Essen berührt hatte.«
    »Ich hätte zurückgeschlagen«, sagte Jodu.
    »Dann wärst du jetzt nicht mehr hier«, sagte der Tindal. »Siehst du nicht? Die sind bewaffnet.«
    Unterdessen hatte sich Sunker aufgerichtet und stand jetzt auf dem Fußpferd. Plötzlich rief er: »Sie sind da!«
    »Wer?«

    »Die Kulis. Schaut. Das müssen sie sein, da in den Booten.«
    Jetzt standen sie alle auf und beugten sich über die Rah, um hinabzuschauen. Eine Flottille von etwa einem halben Dutzend Dingis näherte sich dem Schoner von Tolly’s Nala her; sie waren dicht besetzt mit Männern in weißen Unterhemden und knielangen Dhotis. Das vorderste Boot hatte im Gegensatz zu den anderen einen kleinen überdachten Bereich am Heck. Als es am Fallreep längsseit kam, sah man bunte Farben unter dem Dach hervorleuchten, und gleich darauf traten acht in Saris gekleidete Gestalten ans Licht.
    »Frauen!«, sagte Jodu leise.
    Mamdu-Tindal blieb unbeeindruckt: Was ihn betraf, so gab es nur wenige Frauen, die es an Attraktivität mit seinem Alter Ego aufnehmen konnten. »Lauter alte Vetteln«, sagte er düster. »Von denen kommt keine an Ghasiti ran.«
    »Woher willst du das wissen?«, fragte Jodu, »man sieht ihre Gesichter ja nicht.«
    »Ich sehe genug, um zu wissen, dass sie Ärger machen werden.«
    »Warum?«
    »Zähl doch mal«, sagte der Tindal. »Acht Frauen an Bord – Ghasiti nicht mitgerechnet – und über zweihundert Männer: Kulis, Silahdars, Mistris, Laskaren und Malums. Versprichst du dir davon was Gutes?«
    Jodu zählte und sah, dass der Tindal recht hatte. Es waren tatsächlich acht. Die Zahl brachte ihn zu der Vermutung, dass es dieselben Frauen sein konnten, die er zu dem Durchgangslager gerudert hatte. Waren es sieben gewesen oder acht? Er konnte sich nicht erinnern, denn er hatte vor allem auf das Mädchen in dem rosa Sari geachtet.
    Unvermittelt sprang er auf, hielt sich mit einem Arm an der Want fest, riss sich den bandhnā vom Kopf und winkte damit.

    »Was machst du denn da, bist du verrückt geworden?«, tadelte ihn Mamdu-Tindal.
    »Ich glaub, ich kenne eins von den Mädchen«, sagte Jodu.
    »Wieso denn, man sieht doch ihre Gesichter gar nicht.«
    »Wegen dem Sari«, sagte Jodu. »Siehst du den rosanen? Ich bin sicher, die kenne ich.«
    »Halt die Klappe und setz dich hin«, sagte der Tindal und zog ihn an der Hose. »Du wirst dir das Genick brechen, wenn du nicht aufpasst. Der Bara Malum hat dich sowieso schon auf dem Kieker nach dem, was du dir gestern mit Zikri Malum geleistet hast. Wenn er mitkriegt, dass du dich an diese Kulimädchen ranmachst, entmastet er dich.«

    Paulette unten im Boot erschrak dermaßen, als sie den winkenden Jodu erblickte, dass sie fast ins Wasser gefallen wäre. Ihr ghūnghat war zwar der wichtigste Teil ihrer Verkleidung, aber beileibe nicht der einzige. Sie hatte sich noch eine ganze Reihe weiterer Tricks ausgedacht: Ihre Fußnägel hatte sie leuchtend zinnoberrot lackiert, Hände und Arme waren mit komplizierten Hennamustern bedeckt, sodass kaum etwas von ihrer Haut zu sehen war, und unter dem Schleier waren ihre Wangen von großen, mit Quasten geschmückten Ohrringen verdeckt. Außerdem balancierte sie ihre in ein Tuch gewickelten Habseligkeiten auf der Hüfte, und zwar so, dass ihr Gang an den einer älteren Frau erinnerte, die sich unter einer

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