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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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hätte er vergessen, dass er seine Steuermannskajüte nur seiner Hautfarbe und ein paar Muskeln verdankte. Paulettes Hände zitterten vor Empörung, und ihr Bündel entglitt ihr und fiel aufs Deck, so dicht vor Zacharys Füße, dass er sich instinktiv bückte, um es aufzuheben.
    Damit handelte er sich einen Zuruf vom Achterdeck ein. »Lassen Sie die Frau, Reid!«, rief Mr. Doughty. »Sie werden für Ihre Ritterlichkeit keinen Dank ernten.«
    Doch die Warnung kam zu spät. Zacharys Hand lag fast schon auf dem Bündel, als Paulette sie wegschlug. Sie hatte darin das Manuskript ihres Vaters und zwei ihrer Lieblingsromane versteckt und konnte nicht riskieren, dass er durch den Stoff die Einbände fühlte.
    Zachary zog mit einem Ausdruck gekränkter Überraschung die Hand zurück. Paulette dagegen hatte nur den einen Gedanken, möglichst rasch ins Zwischendeck zu entkommen. Sie nahm ihr Bündel an sich, lief zur Luke hinüber und stieg die Treppe hinab.
    Auf halbem Weg nach unten dachte sie an ihren letzten Besuch im Zwischendeck: Wie leichtfüßig war sie damals diese
Treppe hinabgeeilt, doch jetzt, mit dem Sari um die Waden und dem Bündel auf dem Kopf war es viel beschwerlicher. Und das Zwischendeck war nicht auf Anhieb wiederzuerkennen: Das dunkle Innere war jetzt von mehreren Lampen und Kerzen erhellt, und in dem Licht sah sie, dass fast der ganze Boden mit mehreren Reihen kreisförmig angeordneter Matten ausgelegt war. Seltsamerweise kam es ihr vor, als sei der Raum geschrumpft, und als sie nach vorn schaute, sah sie auch, warum: Der vordere Teil war durch ein neu eingebautes Schott abgetrennt.
    Ein Mistri gab drinnen Anweisungen, und er führte Munia und Paulette zu dem neuen Schott. »Die Frauenabteilung ist hier dahinter«, sagte er, »direkt neben der Häftlingszelle.«
    »Soll das heißen, hinter der Wand ist eine Zelle?«, rief Munia verängstigt. »Warum haben Sie uns direkt daneben einquartiert ?«
    »Kein Grund zur Sorge«, erwiderte der Mistri. »Der Eingang ist auf der anderen Seite. Die Gefangenen können euch nichts tun. Ihr seid da drüben in Sicherheit, und die Männer müssen auf dem Weg zur Latrine nicht ständig über euch drübersteigen.«
    Dagegen war nichts einzuwenden. Auf dem Weg in die Frauenabteilung fiel Paulette eine kleine Lüftungsöffnung im Schott der Häftlingszelle auf – gerade noch in Augenhöhe, wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellte. Sie konnte nicht widerstehen und spähte kurz hindurch, ging weiter und machte dann kehrt, um noch einmal hinüberzuschauen: In dem engen Verschlag saßen zwei Männer, die nicht verschiedener hätten sein können. Der eine hatte einen kahlrasierten Schädel und ein bis auf die Knochen abgemagertes Gesicht und sah aus wie ein Nepalese; der andere hatte eine unheimliche Tätowierung auf der Stirn und sah aus, als sei er aus der
Hafengegend von Kalkutta geholt worden. Noch seltsamer war, dass der eine weinte und der andere ihm wie zum Trost den Arm um die Schultern gelegt hatte. Trotz ihrer Ketten und Fesseln hatten sie offenbar ein so liebevolles Verhältnis zueinander, wie man es sich bei zwei Verbrechern kaum vorstellen konnte. Nach einem weiteren verstohlenen Blick sah Paulette, dass die beiden Männer jetzt miteinander sprachen, und das stachelte ihre Neugier noch mehr an. Worüber mochten sie wohl reden? Jedenfalls waren sie so vertieft, dass sie von der Unruhe nebenan offenbar nichts bemerkten. Welche Sprache mochten sie sprechen, der ausgemergelte Nepalese und der tätowierte Verbrecher? Paulette schob ihre Matte bis dicht an das Schott. Verblüfft stellte sie fest, dass sie mit dem Ohr an der Fuge im Holz nicht nur hören, sondern auch verstehen konnte, was die beiden sagten, denn erstaunlicherweise unterhielten sich die beiden Häftlinge auf Englisch.

    Sekunden nachdem Zachary den Schlag auf die Finger bekommen hatte, tauchte Babu Nob Kissin neben ihm auf. Obwohl der Gumashta wie üblich in Dhoti und kūrta gekleidet war, fiel Zachary auf, dass seine Figur eine merkwürdig feminine Fülle angenommen hatte, und wenn er sich das schulterlange Haar aus dem Gesicht strich, geschah es mit der geübten Bewegung einer üppigen Matrone. Sein Gesichtsausdruck war zugleich nachsichtig und vorwurfsvoll, als er Zachary aus nächster Nähe mit dem Zeigefinger drohte: »Ts, ts! Schiff summt wie Bienenstock, und Sie trotzdem nicht können lassen alte Dummheiten?«
    »Sie schon wieder, Pander«, sagte Zachary. »Wovon zum Teufel reden Sie denn

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