Das mohnrote Meer - Roman
Stange, um zu verhindern, dass das Dingi abtrieb. Beim Vorbeifahren an den anderen Anwesen von Garden Reach war ihm klar geworden, dass sich das Problem, Putli zu finden, nicht dadurch lösen ließ, dass er das Haus ausfindig machte, in dem sie wohnte: Jedes dieser Häuser war eine kleine Festung, bewacht von Bediensteten, die jeden Eindringling sofort dingfest machen würden. Jodu erschien der Garten mit dem chinesischen Pavillon als der größte und abweisendste von allen: Auf seinen Rasenflächen war ein Heer
von Malis und Ghaskatas am Werk. Einige legten neue Beete an, andere jäteten Unkraut oder mähten Gras mit der Sense. Jodu wusste, dass er in seinen abgerissenen Sachen kaum eine Chance hatte, auf das Gelände vorzudringen. Höchstwahrscheinlich würde man ihn, kaum hatte er einen Fuß auf das Grundstück gesetzt, ergreifen und den Torhütern übergeben, die ihn dann als Dieb auspeitschen würden.
Das schon seit einiger Zeit auf der Stelle verharrende Dingi erregte bereits die Aufmerksamkeit eines der Bootsführer des Anwesens, der gerade den Boden eines schnittigen Kaiks kalfaterte, indem er mit einem Palmwedelpinsel flüssigen Teer auftrug. Der Mann ließ seinen Pinsel im Eimer stehen und wandte sich stirnrunzelnd Jodu zu. »Was ist?«, rief er. »Was hast du hier zu suchen?«
Jodu lächelte entwaffnend. »Salam, Mistriji«, sagte er, womit er dem Kalfaterer schmeichelte, indem er ihm ein höherrangiges Handwerk zusprach, »ich habe nur gerade das Haus bewundert. Es ist doch sicher das größte hier?«
Der Kalfaterer nickte: »Ja, was denn sonst? Natürlich.«
Jodu beschloss, sein Glück zu versuchen: »Dann wohnt hier sicher auch eine große Familie?«
Der Mann grinste verächtlich. »Meinst du vielleicht, so ein Haus gehört Leuten, die eng zusammengedrängt leben wollen? Nein, hier wohnen nur der Bara Sahib, die Bara Bibi und das Bara Baby.«
»Und sonst niemand?«
»Da ist noch eine junge Missy-Mem«, sagte der Mann mit einem wegwerfenden Achselzucken. »Aber die gehört nicht zur Familie. Nur eine arme Waise, die sie in ihrer Herzensgüte bei sich aufgenommen haben.«
Jodu hätte gern mehr erfahren, aber es wäre unklug gewesen, den Mann noch weiter auszufragen. Putli hätte in Schwierigkeiten
kommen können, wenn es sich herumsprach, dass ein Fremder in einem Dingi auf der Suche nach ihr war. Doch wie sollte er ihr sonst eine Nachricht zukommen lassen? Während er noch überlegte, fiel ihm ein Schössling auf, der im Schatten des Pavillons wuchs. Er sah, dass es ein Indischer Rosenapfelbaum war, der duftende weiße Blüten hatte und dessen Früchte säuerlich schmeckten, ähnlich wie unreife Äpfel.
Er legte sich eine Stimme ähnlich der seiner ländlichen Halbgeschwister zu, die an keinem Acker vorbeigehen konnten, ohne Fragen über die dort angebauten Feldfrüchte zu stellen. Im Tonfall unschuldiger Neugier fragte er den Kalfaterer: »Der Baum ist wohl erst vor Kurzem gepflanzt worden?«
Der Mann schaute auf und zog die Stirn in Falten. »Der da?« Er verzog das Gesicht und zuckte die Achseln, wie um sich von dem Kümmerling zu distanzieren. »Allerdings. Das war die neue Missy-Mem. Ständig pfuscht sie den Gärtnern ins Handwerk, setzt Pflanzen um.«
Jodu verabschiedete sich und wendete das Boot, um wieder zurückzufahren. Er hatte sofort vermutet, dass der Rosenapfelbaum von Putli gepflanzt worden war. Sie hatte schon immer eine Vorliebe für den herben Geschmack seiner Früchte gehabt. Zu Hause, im Botanischen Garten, hatte ein Rosenapfelbaum am Fenster ihres Zimmers gestanden, und jedes Jahr hatte sie während seiner kurzen Vegetationsperiode die Früchte geerntet, um daraus Chutneys und Eingemachtes zu bereiten. So sehr mochte sie die Früchte, dass sie sie zum ungläubigen Staunen anderer sogar roh aß. Jodu kannte Putlis Gewohnheiten als Gärtnerin und wusste, dass sie am Morgen herunterkommen würde, um den Schössling zu gießen. Wenn er hier irgendwo in der Nähe die Nacht verbrachte, konnte er sie vielleicht abfangen, bevor die Bediensteten auf den Beinen waren.
Er ruderte stromaufwärts und hielt Ausschau nach einer Stelle, die vor Blicken geschützt und zugleich so nahe an menschlichen Behausungen war, dass Leoparden und Schakale sie meiden würden. Als er einen solchen Platz gefunden hatte, raffte er seine lungī und watete durch den Schlamm, um sein Boot an den Wurzeln eines riesigen Banyanbaums festzumachen. Dann stieg er wieder hinein, wusch sich den Schlamm von den
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