Das mohnrote Meer - Roman
Shanbaff-Dhotis und Abrawan- kurtās , die er sonst bei feierlichen Anlässen und in der Öffentlichkeit trug, sämtlich in der Wäsche waren. So musste er sich mit einer relativ groben Baumwoll-Dhoti und einem Allieballie- kurtā begnügen. Irgendwo in seinem Gepäck fand Elokeshi ein Paar goldbestickte leichte Schuhe für ihn, und sie führte ihn auch an seinen Platz im Speisesaal und umhüllte seine Schultern mit einem Tuch aus feinstem Warangal-Nainsukh, verbrämt mit einer Borte aus Brokat. Als sich dann die Jolle von der Ibis näherte, zog sie sich rasch zurück, um die Tanzproben ihrer Gefährtinnen zu leiten.
Als die Gäste hereingeführt wurden, erhob sich Nil feierlich. Mr. Burnham, so stellte er fest, war in Reitkleidung erschienen, aber die beiden anderen Männer hatten sich offenbar einige Mühe gegeben, sich dem Anlass entsprechend zu kleiden. Beide trugen zweireihige Röcke, und aus den Falten von Mr. Doughtys Halstuch leuchtete eine Rubinnadel hervor. Von Mr. Reids Revers hing die Kette einer Taschenuhr herab. Angesichts solcher Eleganz wurde Nil verlegen, und er warf seinen Brokatschal schützend über seine Brust, während er zur Begrüßung die Hände aneinanderlegte: »Mr. Burnham, Mr. Doughty – es ist mir eine große Ehre, Sie empfangen zu dürfen.«
Die beiden Engländer verneigten sich, aber Zachary kam zu Nils Erstaunen auf ihn zu, als wollte er ihm die Hand geben. Mr. Doughty rettete die Situation, indem er den Amerikaner zurückhielt. »Behalten Sie Ihre Hände bei sich, Sie Esel«, flüsterte
er ihm zu. »Berühren Sie ihn, und er verschwindet, um zu baden, und dann kriegen wir bis Mitternacht nichts zwischen die Zähne.«
Keiner der Besucher war schon einmal auf dem Raskhali-Badgero gewesen, deshalb willigten sie sofort ein, als Nil vorschlug, ihnen die allgemein zugänglichen Teile des Schiffes zu zeigen. Auf dem Oberdeck fanden sie Raj Rattan, der im Mondschein seinen Drachen steigen ließ. Mr. Doughty räusperte sich vernehmlich, als der Junge vorgestellt wurde. »Ist dieser Lausebengel Ihr Upper-Roger, Raja Nil-Rotten?«
»Der upa-rājā , ja. Mein einziger Sprössling und Erbe. Die zarte Frucht meiner Lenden, wie Ihre Dichter vielleicht sagen würden.«
»Aha, Ihre kleine grüne Mango!« Mr. Doughty zwinkerte Zachary zu. »Und wenn ich mir die Frage erlauben darf – würden Sie Ihre Lenden als Stamm oder als Ast bezeichnen?«
Nil bedachte ihn mit einem eisigen Blick. »Nun, Sir«, sagte er kühl, »sie sind der Baum selbst.«
Mr. Burnham bat um einen Drachen, um es auch einmal zu probieren, und erwies sich als sehr geübt in dieser Sportart: Sein Drachen stieg hoch empor und vollführte eindrucksvolle Sturzflüge; die mit einer Mischung aus Leim und zerstoßenem Glas überzogene Schnur blitzte im Mondlicht. Auf eine anerkennende Bemerkung Nils erwiderte er: »Ach, das habe ich in Kanton gelernt. Nirgends sonst erfährt man mehr über Drachen.«
Im Spiegelsaal stand eine Flasche Champagner in einem Kübel mit schlammigem Flusswasser bereit. Mr. Doughty steuerte mit einem entzückten Aufschrei darauf zu: »Shabash! Schampus – der kommt gerade recht!« Er schenkte sich ein Glas ein und zwinkerte Nil zu: »Mein Vater hat immer gesagt: ›Halte eine Flasche am Hals und eine Frau um die Taille. Nie
umgekehrt.‹ Dem hätte Ihr Vater sicher von ganzem Herzen zugestimmt, hm, Roger Nil-Rotten? War schon ein rechter Schwerenöter, Ihr Herr Vater, was?«
Nil würdigte ihn keiner Antwort. So sehr ihn das anbiedernde Gehabe des Lotsen abstieß, dachte er doch unwillkürlich, welch ein Segen es sei, dass seine Vorfahren Wein und Schnaps nicht auf die Liste der Dinge gesetzt hatten, die man nicht mit unreinen Ausländern teilen durfte: Ohne Alkohol wäre es vollends unzumutbar gewesen, sich mit diesen Menschen abzugeben. Er hätte sich gern noch ein zweites Glas genehmigt, doch aus dem Augenwinkel sah er, dass Parimal ihm ein Zeichen machte. Er raffte seinen Dhoti. »Meine Herren, man gibt mir zu verstehen, dass unser Mahl angerichtet ist.« Als er sich erhob, wurde der Samtvorhang zurückgezogen und gab den Blick auf einen großen polierten Tisch frei, der auf die englische Art mit Messern, Gabeln, Tellern und Weingläsern gedeckt war. Zwei riesige Kandelaber standen an den Enden, und in der Mitte befand sich ein Arrangement aus welken Seerosen, die so dicht gesteckt waren, dass die Vase fast völlig unter den Blüten verschwand. Speisen standen nicht auf dem Tisch, denn im Hause
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