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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Gastmahls. Ob der Abend auch ein solches Ende genommen hätte, wenn sein Vater der Gastgeber gewesen wäre? Wohl kaum.
    »Tut mir aufrichtig leid«, sagte Mr. Burnham. »Hat wohl ein bisschen zu tief ins Glas geschaut, unser guter Mr. Doughty. Er überschätzt sich bisweilen.«
    »Aber nein, ich bin es, der sich entschuldigen muss«, sagte
Nil. »Sie wollen doch nicht schon gehen? Die Damen wollten noch einen Tanz vorführen.«
    »Ach ja? Nun, dann entschuldigen Sie uns bitte bei ihnen. Tut mir leid, aber mir steht der Sinn nicht nach derlei Lustbarkeiten.«
    »Wie schade«, erwiderte Nil. »Fühlen Sie sich nicht wohl? Ist Ihnen das Essen nicht bekommen?«
    »Das Essen war exzellent«, sagte Burnham ernst. »Doch was den Tanz angeht: Sie können sich vielleicht denken, dass ich gewisse Verpflichtungen gegenüber meiner Kirche habe. Es ist nicht meine Art, Vorführungen beizuwohnen, die der Würde des schönen Geschlechts abträglich sind.«
    Nil neigte entschuldigend den Kopf. »Ich verstehe, Mr. Burnham.«
    Burnham zog eine Zigarre aus der Weste und klopfte sie auf seinen Daumennagel. »Aber mit Ihrer gütigen Erlaubnis, Raja Nil Rattan, würde ich gern ein paar Worte unter vier Augen mit Ihnen wechseln.«
    Nil sah keine Möglichkeit, ihm das zu verweigern. »Aber gewiss, Mr. Burnham. Sollen wir uns aufs Oberdeck begeben? Dort müsste sich ein ruhiges Eckchen finden lassen.«

    Oben angekommen, zündete Burnham seine Zigarre an und entließ eine Rauchfahne in die Nachtluft. »Ich bin froh über diese Gelegenheit, mit Ihnen zu sprechen«, begann er. »Ein unverhofftes Vergnügen.«
    »Ich danke Ihnen«, sagte Nil vorsichtig. Ihm schwante Schreckliches.
    »Wie Sie sich erinnern werden, ließ ich Ihnen kürzlich eine Mitteilung zukommen«, sagte Burnham. »Darf ich fragen, ob Sie meinen Vorschlag überdacht haben?«
    »Mr. Burnham«, erwiderte Nil, »ich bedaure, aber zum gegenwärtigen
Zeitpunkt kann ich Ihnen die geschuldete Summe nicht zurückzahlen. Sie müssen verstehen, dass ich Ihrem Vorschlag nicht entsprechen kann.«
    »Und warum nicht?«
    Nil dachte an seinen letzten Besuch auf Raskhali und die öffentlichen Versammlungen, auf denen seine Pächter und Verwalter ihn inständig gebeten hatten, nicht die Zamindari zu veräußern und sie dadurch von dem Land zu vertreiben, das sie seit Generationen bestellten. Und er dachte an seinen letzten Besuch im Tempel seiner Familie, wo der Priester sich ihm zu Füßen geworfen und ihn angefleht hatte, den Tempel, in dem seine Vorväter gebetet hatten, nicht wegzugeben.«
    »Mr. Burnham«, sagte er, »die Zamindari von Raskhali ist seit zweihundert Jahren im Besitz meiner Familie. Seit neun Generationen residieren dort die Halders. Wie könnte ich jemals dieses Anwesen veräußern, um meine Schulden zu begleichen?«
    »Die Zeiten ändern sich, Raja Nil Rattan«, sagte Burnham. »Und diejenigen, die sich nicht mit ihnen ändern, werden weggefegt.«
    »Aber ich habe gewisse Verpflichtungen gegenüber meinen Leuten«, wandte Nil ein. »Verstehen Sie doch – die Tempel meiner Familie stehen auf diesem Grund. Nichts davon gehört mir persönlich, sodass ich es verkaufen könnte. Der Besitz gehört auch meinem Sohn und seinen noch ungeborenen Kindern. Ich kann ihn Ihnen nicht überschreiben.«
    Mr. Burnham blies einen Mundvoll Rauch aus. »Ich will Ihnen reinen Wein einschenken«, sagte er ruhig. »Die Wahrheit ist: Sie haben keine Wahl. Ihre Schulden bei meinem Unternehmen wären nicht einmal durch den Verkauf des Anwesens zu begleichen. Tut mir leid, aber ich kann nicht mehr lange warten.«

    »Mr. Burnham«, sagte Nil mit fester Stimme, »Sie müssen von Ihrem Vorschlag ablassen. Ich werde meine Häuser verkaufen, ich werde den Badgero verkaufen, ich werde mich von allem trennen, was veräußerbar ist – aber ich kann mich nicht vom Land der Raskhali trennen. Eher erkläre ich mich bankrott, als dass ich Ihnen meine Zamindari übertrage.«
    »Ich verstehe«, sagte Burnham nicht unfreundlich. »Ist das Ihr letztes Wort?«
    Nil nickte. »Ja.«
    »Nun denn«, sagte Mr. Burnham und betrachtete die glühende Spitze seiner Zigarre. »Aber dann müssen wir uns über eins im Klaren sein: Alles, was von nun an geschieht, haben Sie ganz allein sich selbst zuzuschreiben.«

SECHSTES KAPITEL
    D ie Kerze in Paulettes Fenster durchdrang als Erste das Dunkel vor der Morgendämmerung, das Bethel umgab. Paulette war die Frühaufsteherin unter den Bewohnern des Hauses, Herren wie Dienern,

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