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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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der mandschurische Tyrann das Recht hat, seine hilflosen Untertanen von diesem Fortschritt auszuschließen? Glauben Sie, es ist Gott gefällig, dass wir im Komplott mit dem Tyrannen so vielen Menschen diese Gabe vorenthalten?«
    »Aber, Mr. Burnham«, wandte Nil ein, »trifft es denn nicht auch zu, dass in China Drogen- und Trunksucht an der Tagesordnung sind? Solche Heimsuchungen sind doch gewiss unserem Schöpfer nicht gefällig?«

    Das bekam Mr. Burnham in den falschen Hals: »Die Übel, die Sie da erwähnen, Sir, sind lediglich Ausdruck der sündhaften Natur des von Gott abgefallenen Menschen. Sollten Sie jemals durch die Elendsquartiere Londons gehen, Raja Nil Rattan, werden Sie mit eigenen Augen sehen, dass es in den Gin-Kneipen der Hauptstadt des Empires genauso viel Drogen – und Trunksucht gibt wie in den Lasterhöhlen von Kanton. Sollen wir deshalb sämtliche Tavernen der Stadt schleifen? Den Wein von unseren Tafeln und den Whisky aus unseren Salons verbannen? Unseren Matrosen und Soldaten ihre tägliche Ration Rum entziehen? Und selbst wenn diese Maßnahmen ergriffen würden: Gäbe es dann keine Trunksucht mehr? Und wären die Parlamentsabgeordneten schuld an jedem Todesfall, sollten sie mit ihren Bemühungen scheitern? Die Antwort lautet Nein. Nein. Denn das Gegenmittel gegen jegliche Sucht liegt nicht in Verboten durch Parlamente und Herrscher, sondern im Gewissen des Einzelnen – im Verantwortungsbewusstsein und in der Gottesfurcht jedes Menschen. Das ist die wichtigste Lektion, die wir als christliche Nation den Chinesen erteilen können – und ich bezweifle nicht, dass diese Botschaft den Bewohnern dieses unglücklichen Landes willkommen wäre, würde ihr grausamer Herrscher sie nicht daran hindern, ihr zu lauschen. Die Tyrannei ganz allein ist schuld am moralischen Verfall Chinas, Sir. Kaufleute wie ich sind nur die Diener des Freihandels, und dieser ist so unabänderlich wie die Zehn Gebote.« Mr. Burnham hielt inne, um sich einen Fulita-Pap in den Mund zu schieben. »Gestatten Sie mir im Übrigen die Bemerkung, dass es einem Raja von Raskhali nicht zukommt, Moralpredigten zum Thema Opium zu halten.«
    »Und warum nicht?«, fragte Nil und wappnete sich für den zu erwartenden Affront. »Bitte erklären Sie mir das, Mr. Burnham.«

    »Aber gern.« Burnham zog die Augenbrauen hoch. »Aus dem einen sehr guten Grund, dass alles, was Sie besitzen, mit Opium bezahlt wird – dieser Badgero, Ihre Häuser, dieses Essen. Oder glauben Sie, Sie könnten sich irgendetwas davon von dem Einkommen leisten, das Ihre Ländereien und Ihre halb verhungerten Kulis erwirtschaften? Nein, Sir: Das alles haben Sie dem Opium zu verdanken.«
    »Aber ich würde dafür nicht in den Krieg ziehen«, sagte Nil in nicht minder scharfem Ton. »Und das Empire auch nicht, wenn Sie mich fragen. Glauben Sie nur nicht, ich wüsste nicht, welche Rolle das Parlament in Ihrer Heimat spielt.«
    »Das Parlament?«, fragte Mr. Burnham lachend. »Das Parlament erfährt von dem Krieg erst, wenn er vorbei ist. Seien Sie versichert, Sir: Würde man solche Angelegenheiten dem Parlament überlassen, dann gäbe es kein Empire.«
    »Hört, hört!«, rief Mr. Doughty und hob sein Glas. »Ein wahreres Wort wurde nie gesprochen …«
    Er brach ab, weil der nächste Gang gebracht wurde, für dessen Präsentation ein Großteil der Mannschaft des Badgeros hatte mobilisiert werden müssen. Sie kamen herein, einer nach dem anderen, mit Messingschüsseln voll Reis, Hammelfleisch, Garnelen und diversen Chutneys und Pickles.
    »Ah, endlich – der Karhibhat«, sagte Mr. Doughty. »Und genau im richtigen Moment!« Während die Deckel von den Schüsseln abgenommen wurden, ließ er den Blick begierig über den Tisch schweifen. Als er sah, wonach er Ausschau gehalten hatte, zeigte er triumphierend mit dem Finger auf eine Messingschüssel, die mit Spinat und kleinen länglichen Stücken Fischfilet gefüllt war. »Ist das nicht der berühmte Rascally-Spinat-Chitchki? Ja, in der Tat!«
    Nil nahm die Düfte gar nicht wahr. Mr. Burnhams Bemerkungen hatten ihn so tief verletzt, dass ihm jeder Gedanke an
Essen, ja sogar an Würmer und Nachttöpfe ausgetrieben worden war. »Bitte, Mr. Burnham«, sagte er, »Sie dürfen mich nicht für einen unwissenden Eingeborenen halten, mit dem man sprechen muss wie mit einem Kind. Mit Verlaub, Ihre jugendliche Königin hat keinen loyaleren Untertanen als mich und keinen, der genauer Bescheid wüsste über die Rechte, deren sich die

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