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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Sari gebadet; in gänzlich unbekleidetem Zustand hatte sie sich anfangs unbehaglich gefühlt, doch nach ein paar Wochen hatte sie sich daran gewöhnt. Dass immer einiges Wasser neben die Fußwanne spritzte, ließ sich nicht vermeiden, und sie brachte jedes Mal längere Zeit damit zu, den Boden zu wischen und alle Spuren ihres Rituals zu beseitigen – die Dienstboten verfolgten neugierig alles, was die Bewohner von Bethel taten, und Mrs. Burnham hatte bei aller
Diskretion doch wirksame Methoden, ihnen Klatsch und Tratsch zu entlocken. Trotz ihrer Vorsichtsmaßnahmen hatte Paulette Grund zu der Annahme, dass die Kunde von ihren heimlichen Waschungen zur Dame des Hauses vorgedrungen war, denn Mrs. Burnham hatte jüngst mehrere spöttische Bemerkungen über die unaufhörliche Baderei der Gentus fallen lassen, die ständig ihren Kopf in den Ganges tauchten und ihre bābā res brabbelten.
    Eingedenk dieser scharfen Kritik nahm Paulette beträchtliche Mühen auf sich, um sicherzustellen, dass auch ja kein Wasser auf dem Boden ihres Waschraums zurückblieb. War diese Schlacht jedoch geschlagen, folgten sogleich weitere. Als Erstes musste sie sich mit den Knöpfen ihrer knielangen Unterhose abplagen, dann musste sie sich verrenken, um an die Verschlüsse von Korsett, Unterhemd und Unterrock zu gelangen, und erst wenn das geschafft war, konnte sie sich in eins der vielen Kleider hineinschlängeln, die ihre Wohltäterin ihr bei ihrer Ankunft in Bethel überlassen hatte.
    Mrs. Burnhams Kleider waren von strengem Schnitt, aber aus so feinen Stoffen, wie Paulette sie noch nie getragen hatte. Da gab es keine Chinsura-Baumwolle, nicht einmal den feinen Shabnam-Musselin und den Zaituni-Satin, mit denen sich andere Memsahibs begnügten. Nein, die Bara Bibi von Bethel tat es nicht unter feinstem Kaschmir, bester chinesischer Seide, schwerem Leinen aus Irland und weichem Nainsukh aus Surat. Kleider aus diesen Stoffen, so hatte Paulette festgestellt, hatten den Nachteil, dass sie nicht ohne Weiteres für eine andere Trägerin geändert werden konnten, schon gar nicht für eine so schlaksige wie sie.
    Mit ihren siebzehn Jahren war Paulette ungewöhnlich groß, so groß, dass sie über die Köpfe der meisten Menschen in ihrer Umgebung, Männer wie Frauen, hinwegschauen konnte.
Auch ihre Gliedmaßen waren von solcher Länge, dass sie dazu neigten, wie Zweige im Wind zu wehen (Jahre später war dies ihr Haupteinwand gegen ihr Abbild in Ditis Schrein: Ihre Arme sahen aus wie Palmwedel). Paulette war sich ihrer ungewöhnlichen Statur bewusst, und das hatte in der Vergangenheit zu einer scheuen Gleichgültigkeit gegenüber ihrer äußeren Erscheinung geführt. In gewisser Weise war das auch ein Freibrief gewesen, denn es hatte sie der Bürde enthoben, sich um ihr Aussehen kümmern zu müssen. Seit sie aber in Bethel war, hatte sich ihr mangelndes Selbstvertrauen, was ihr Äußeres anging, zu starker Befangenheit gesteigert. In müßigen Momenten machte sie sich mit Fingerspitzen und Nägeln so lange an kleinen Unebenheiten ihrer hellen Haut zu schaffen, bis dort hässliche rote Flecke entstanden. Im Gehen beugte sie sich vor, als müsste sie gegen einen Sturm ankämpfen, und im Stehen zog sie die Schultern ein, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und schwankte hin und her, als stünde sie im Begriff, eine Rede zu halten. Früher hatte sie ihr langes dunkles Haar zu Zöpfen geflochten, jetzt kämmte sie es zu einem strengen kleinen Knoten zurück, wie ein Korsett für den Kopf.
    Bei ihrer Ankunft in Bethel hatte Paulette vier Kleider auf ihrem Bett vorgefunden, dazu die nötigen Unterhemden, Blusen und Unterröcke. Alles sei auf ihre Größe geändert worden, hatte Mrs. Burnham ihr versichert, es könne also zum Dinner getragen werden. Paulette hatte sie beim Wort genommen und sich eilig angezogen, ohne auf das Zungenschnalzen des Dienstmädchens zu achten, das ihr zur Hand gehen sollte. Darauf erpicht, ihre Wohltäterin zufriedenzustellen, war sie voller Enthusiasmus die Treppe hinab und ins Esszimmer gestürmt. »Sehen Sie nur, Mrs. Burnham«, hatte sie gerufen. »Sehen Sie! Ihr Kleid sitzt wie angegossen!«

    Es kam keine Antwort, nur ein Laut war zu hören, als würden viele Menschen gleichzeitig die Luft einziehen. Im Hereinkommen hatte Paulette bemerkt, dass der Raum seltsam voll war, dabei sollte es doch ein Familienessen nur mit den Burnhams und ihrer achtjährigen Tochter Annabel sein. Mit den Gepflogenheiten des Hauses nicht

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