Das mohnrote Meer - Roman
und ihr Tag begann damit, dass sie den Sari versteckte, in dem sie geschlafen hatte. Nur in der Abgeschiedenheit ihres Zimmers, geschützt vor den neugierigen Blicken der Bediensteten, wagte sie überhaupt einen Sari zu tragen. In Bethel, so hatte sie festgestellt, hatte das Personal, nicht weniger als die Herrschaft, sehr genaue Vorstellungen davon, wie sich die Europäer und im Besonderen die Memsahibs zu kleiden und zu benehmen hatten. Diener und Khidmatgars lächelten spöttisch, wenn Paulettes Aufzug nicht ganz pakka war, und gaben oft keine Antwort, wenn sie von ihr auf Bengali oder in einer anderen Sprache als dem Küchen-Hindustani, das im Haus üblich war, angesprochen wurden. Nachdem Paulette aufgestanden war, schloss sie den Sari schnell in ihre Truhe ein, denn nur dort war er vor Entdeckung sicher, wenn später die Prozession der Dienstboten anrückte: die bettenmachenden Bichanadars, die bodenfegenden Farrashis und die nachtstuhlsäubernden Metranis und Harry-maids.
Die Wohnung, die man Paulette zugewiesen hatte, lag im obersten Stock der Villa und bestand aus einem großen Schlafzimmer, einem Ankleidezimmer und – was ungewöhnlich war – einem angrenzenden Waschraum. Auf Mrs. Burnhams Betreiben waren in ihrem Domizil als erstem in der Stadt die
Außenklosetts abgeschafft worden. »Es ist ja so lästig«, pflegte sie zu sagen, »jedes Mal hinauszumüssen, wenn man was fallen lassen will.«
Wie alles im Haus war auch Paulettes Waschraum mit vielen der neuesten englischen Errungenschaften ausgestattet: einem bequemen Nachtstuhl mit Holzdeckel, einem bemalten Porzellanbecken und einer Fußwanne aus Zinn. Das für Paulette Wichtigste aber fehlte: Man konnte in dem Waschraum kein Bad nehmen. Über die Jahre hatte Paulette sich angewöhnt, täglich zu baden, oft auch im Hooghly, und sie hatte Mühe, den Tag durchzustehen, wenn sie sich nicht mindestens einmal mit kühlem Wasser erfrischen konnte. Doch auf Bethel war ein tägliches Bad nur dem Bara Sahib gestattet, wenn er abends erhitzt und staubbedeckt von der Arbeit kam. Paulette hatte Gerüchte vernommen, wonach Mr. Burnham für seine tägliche Reinigung eine besondere Vorrichtung ersonnen hatte: In den Boden eines ganz normalen Blecheimers hatte man Löcher gebohrt und ihn so aufgehängt, dass er von einem Diener nachgefüllt werden konnte, während der Sahib darunterstand und in dem Wasserstrom schwelgte. Paulette hätte die Vorrichtung liebend gern ebenfalls benutzt, aber ihr einziger Versuch, das Thema anzuschneiden, war von Mrs. Burnham entrüstet vereitelt worden. Auf ihre übliche indirekte Art hatte sie verwirrende Anspielungen auf die vielen Gründe gemacht, weshalb häufige kalte Bäder für einen Mann notwendig, beim sanfteren, weniger erregbaren Geschlecht aber unziemlich, ja geradezu widernatürlich seien. Eine Badewanne sei ihrer Meinung nach für eine Memsahib eine pakka Annehmlichkeit, von der in angemessenen Abständen von zwei oder drei Tagen Gebrauch zu machen sei.
Es gab in Bethel zwei riesige Badezimmer mit gusseisernen
Wannen aus Sheffield, doch wenn man ein Bad nehmen wollte, musste man die Abdars mindestens einen halben Tag vorher auffordern, sie mit Wasser zu füllen, und wenn Paulette das mehr als zweimal in der Woche tat, würde es unweigerlich Mrs. Burnham zu Ohren kommen. Ohnehin war ein Bad in diesen Wannen nicht allzu sehr nach Paulettes Geschmack. Sie kam sich dann vor wie in ihrem eigenen lauwarmen Absud, und sie schätzte auch nicht die Handreichungen der drei Dienerinnen – der »cushy-girls «, wie Mrs. Burnham sie nannte – , die ihr den Rücken einseiften, ihr die Schenkel schrubbten, sie kniffen, wo immer sie es für angebracht hielten, und dabei ständig »khushī-khushī? « murmelten, als wäre es ein Hochgenuss, am ganzen Körper gezwickt, gepiekt und gerubbelt zu werden. Näherten sie sich Paulettes intimsten Winkeln, wehrte sie die Mädchen ab, worauf sie jedes Mal verwundert und gekränkt dreinsahen, als hätte man sie an der ordnungsgemäßen Erfüllung ihrer Pflichten gehindert. Für Paulette war das höchst unerquicklich, denn sie konnte sich nicht vorstellen, was sie dort mit ihr zu tun gedachten, und wollte es auch gar nicht wissen.
In ihrer Verzweiflung hatte sie sich schließlich eine eigene Waschmethode ausgedacht: Sie stand in ihrem Waschraum in der Fußwanne, schöpfte mit einem Becher vorsichtig Wasser aus einem Eimer und ließ es sacht über ihren Körper rieseln. Früher hatte sie immer im
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