Das Mondkind (German Edition)
fort.
Der Junge nimmt an, der Rucksack müsse Leckerbissen für das Tier enthalten. Auf seinen Knien durchsucht er die verschiedenen Fächer, findet jedoch keinen Hinweis darauf, dass der Tote das Tier jemals versorgt hat.
Ein prüfender Blick auf den staubbedeckten Boden und die wenigen Pfotenabdrücke verraten, dass der Hund nie zuvor hier gewesen ist, dass er sich von dem Geruch und nicht von seiner Erfahrung hat leiten lassen. Und dennoch …
Zwischen den schmierigen, weitgehend wertlosen Habseligkeiten des Verstorbenen entdeckt Crispin zwei Stoffbeutel voller Geldscheine, die zu festen Bündeln gerollt sind und von Gummiringen zusammengehalten werden. Es sind Packen aus Fünf-, Zehn- und Zwanzigdollarscheinen.
Das Geld ist mit ziemlich großer Sicherheit gestohlen oder auf andere Weise schmutzig. Aber es ist unwahrscheinlich, dass jemand, noch nicht einmal die Polizei, dahinter kommen wird, wem der Tote dieses Vermögen geklaut hat oder durch welche illegalen Aktivitäten er es erworben haben könnte.
Der Leiche eines einsamen Obdachlosen Geld abzunehmen kann doch bestimmt kein Diebstahl sein. Der Mann hat schließlich keine Verwendung mehr dafür.
Dennoch zögert der Junge.
Nach einer Weile spürt er, dass er beobachtet wird. Er schaut auf und rechnet fast damit, dass sich der Blick der Leiche auf ihn gerichtet hat.
Die Augen des Hundes leuchten im Kerzenschein, als er ihn mustert und leise, beinah erwartungsvoll, hechelt.
Crispin hat kein Versteck. Und wenn ihm ein Ort einfiele, den er aufsuchen könnte, dann hätte er derzeit nur vier Dollar, um dorthin zu gelangen.
Der Hund scheint dem Toten nicht gehört zu haben. Crispin wird ihn jedoch, ungeachtet seiner Herkunft, füttern müssen.
Er steckt die Packen Bargeld wieder in die Stoffbeutel und schnürt sie fest zu. Der Rucksack ist zu groß für ihn. Er wird nur das Geld an sich nehmen.
Auf der Schwelle sieht sich Crispin noch einmal um. Das Kerzenlicht erzeugt die Illusion von Leben in den toten Augen. Als der Widerschein der Flammen über das schlaffe Gesicht zieht, scheint der Rauschgiftsüchtige ein Mann aus Glas zu sein, wie eine Lampe, die von innen heraus leuchtet.
Während sie ihre Schritte durch das riesige Lagerhaus zurückverfolgen, bleibt der Hund stehen, um an einer der verschimmelten Spielkarten zu schnuppern, die auf dem Boden liegen. Es ist die Karosechs.
Als sie vorhin hier vorbeigekommen sind, haben an dieser Stelle vier Sechsen gelegen, eine von jeder Farbe.
Crispin inspiziert den weitläufigen dunklen Raum und richtet den Strahl seiner Taschenlampe forschend hierhin und dorthin. Niemand taucht auf. Keine Stimme droht ihm. Er und der Hund scheinen allein zu sein.
Der LED -Strahl, der auf den verschmutzten Boden fällt, kann die fehlenden Sechsen nicht ausfindig machen.
Draußen auf der Zufahrt ist der Himmel im Westen purpurrot, doch die Abenddämmerung leuchtet vorwiegend violett. Die Luft selbst scheint lila zu sein.
In einer Tierhandlung an der Monroe Avenue kauft er ein Halsband und eine Leine. Von jetzt an wird der Hund das Halsband ständig tragen, damit er nicht den Eindruck eines Streuners erweckt. Crispin wird die Leine nur auf öffentlichen Straßen benutzen, wo das Risiko besteht, die Aufmerksamkeit eines Tierkontrollbeamten auf sich zu ziehen.
Er kauft auch eine Tüte Hundekuchen mit Johannisbrotmehl, einen Fellpflegekamm mit Metallzinken und einen Trinknapf, der sich zusammenfalten lässt.
Vor einem Sportgeschäft bindet er den Hund an einen Laternenpfahl und lässt ihn allein, um hineinzugehen und einen Rucksack von der Größe zu kaufen, wie ihn Kinder brauchen, um Bücher zur Schule und wieder nach Hause zu tragen. Er packt die Stoffbeutel mit dem Geld und seine Einkäufe aus der Tierhandlung hinein.
Zum Abendessen gibt es für beide Hotdogs von einem Straßenverkäufer. Coke für den Jungen, in eine Flasche abgefülltes Wasser für den Hund.
Bei einem Kramladen, der sich auf Zauberartikel und alle Arten von Spielen spezialisiert hat, bleibt Crispin ein oder zwei Minuten vor der Auslage stehen. Er beschließt, ein Kartenspiel zu kaufen, obwohl er nicht sagen könnte, warum.
Als Crispin den Hund an einen Fahrradständer binden will, öffnet der Besitzer des Ladens die Tür, woraufhin das silberhelle Läuten einer Ladenglocke ertönt. Er sagt: »Komm rein, Junge. Hunde sind hier willkommen.«
Der Besitzer ist ein älterer Mann mit weißem Haar und buschigen weißen Augenbrauen. Seine Augen sind grün
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