Das Mondkind (German Edition)
einer angeblich willkürlichen Gewalttat zum Opfer. Reiche Männer mögen es nämlich nicht, wenn man sie zum Narren hält.
»Aber ich bin zu wendig, zu clever und zu gewitzt für sie, Crispie. Niemand wird dir deine Mommy wegnehmen. Ich werde immer hier sein. Immer und ewig.«
Zeit vergeht und die Dinge ändern sich …
Die Veränderung trägt den Namen Giles Gregorio. Gegen ihn nehmen sich die anderen reichen Männer in Clarettes Leben wie Hungerleider aus. Sein Reichtum ist geerbt und so gewaltig, dass er beinah unermesslich ist.
Giles hat auf der ganzen Welt palastartige Villen. In dieser Stadt wohnt er ganz oben auf dem Shadow Hill, direkt gegenüber von dem sagenumwobenen Pendleton. Sein Herrenhaus – es trägt den Namen Theron Hall – ist nicht so groß wie das Pendleton, aber groß genug: zweiundfünfzig Zimmer, achtzehn Bäder und ein Labyrinth von Fluren.
Wenn Giles beabsichtigt, sich in der Stadt aufzuhalten, treffen eine Woche vor ihm zwanzig Dienstboten ein, um das riesige Haus auf seine Ankunft vorzubereiten. Zu ihnen zählen einer seiner persönlichen Leibköche, sein Juniorbutler und sein zweiter Kammerdiener.
Zwei Wochen nachdem Clarette dem Multimilliardär begegnet ist, schmust sie, erneut unter dem Einfluss von Wodka Lemon, wieder mit ihrem ältesten Sohn und spricht von einer glorreichen Zukunft. »Ich habe mein Geschäftsmodell verändert, Crispie. Keine kleinen Bastarde mehr. Das genügt jetzt, damit ist Schluss. Mommy wird reicher sein, als sie es sich jemals erträumt hat.«
Nur eine Woche später, drei Wochen, nachdem Giles Clarette begegnet ist, werden sie in einem kleinen privaten Zeremoniell von solcher Exklusivität getraut, dass selbst ihre drei Kinder nicht dabei sind. Tatsächlich glaubt Crispin, als er von einem höher gelegenen Fenster aus die eintreffenden Gäste beobachtet, dass in Theron Hall an jenem Tag weniger als zwanzig Personen empfangen werden und dass bei dieser Hochzeit mehr Dienstboten als Herrschaften anwesend sein müssen.
Crispin ist zu dem Zeitpunkt neun, Harley sieben, Mirabell sechs.
Er und seine jüngeren Geschwister sind für die Dauer der Feierlichkeiten in einem Salon im ersten Stock einge sperrt, wo es fantastisches neues Spielzeug in Hülle und Fülle gibt und ebenso all ihre Lieblingsspeisen. Beaufsichtigt werden sie von Nanny Sayo, dem japanischen Kindermädchen. Nanny Sayo ist zierlich und hübsch, hat eine zarte melodische Stimme und ist leicht zum Lachen zu bringen, aber wenn man ihre Autorität auf die Probe stellt, begegnet sie jedem dieser Versuche mit dem Missmut einer strengen Zuchtmeisterin.
Nach der Hochzeit behandeln die zahlreichen Dienstboten in Theron Hall die Kinder respektvoll und sogar mit Zuneigung. Aber wenn diese Menschen lächeln, so scheint es Crispin, passt der Ausdruck in ihren Augen nicht zu dem Schwung ihrer Lippen.
Und doch ist es ein gutes Leben. Ja, es ist sogar grandios.
Die Kinder essen nur das, was sie mögen.
Sie gehen nur dann ins Bett, wenn sie es wollen.
Jedes steht nach seiner eigenen inneren Uhr auf.
Sie werden von einem Hauslehrer unterrichtet. Mr. Mordred besitzt fundierte Kenntnisse in allen Fächern. Er ist enorm unterhaltsam und kann jeden Stoff interessant darstellen.
Mr. Mordred ist ein lustiger Mann, nicht direkt fett, aber ziemlich rundlich, und manchmal sagt er zu der kleinen Mirabell, sie sähe zum Anbeißen aus. Damit bringt er sie immer zum Kichern.
Vielleicht ist das Beste an Mr. Mordred, dass er ihnen den Unterricht nicht hartnäckig aufdrängt. Er erlaubt ihnen häufige Pausen zum Spielen und übernimmt dabei auch oft die Führung.
Wenn sie Unfug im Kopf haben, bestärkt er sie manchmal darin. Wenn ihnen nach Faulenzen zumute ist, sagt Mr. Mordred, jedes Kind, das nicht faul ist, kann überhaupt kein Kind sein, sondern muss stattdessen ein Zwerg sein, der sich als Kind verkleidet hat.
Auf seiner bleichen Stirn hat Mr. Mordred ein schwar zes Muttermal, das exakt die Form einer Pferdebremse hat. Wenn eines der Kinder einen Finger auf diese Merkwürdigkeit legt, gibt Mr. Mordred ein surrendes Geräusch von sich.
Ab und zu tut er so, als verwechsle er dieses Abbild einer Bremse mit einem echten Insekt. Er zuckt, als sei er verärgert, und klatscht mit der flachen Hand auf das eingebil dete Insekt, woraufhin die Kinder immer in schallendes Gelächter ausbrechen.
Wenn Crispin die Last eines solchen Muttermals mit sich herumtragen müsste, wäre es ihm unangenehm, sogar peinlich. Er
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