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Das Monstrum

Das Monstrum

Titel: Das Monstrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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die Tiefe gedrungen, als ihre Finger zum ersten Mal über Fels strichen. Es wäre ihr vielleicht gelungen, den Felsbrocken herauszuziehen – der immerhin ließ sich bewegen –, aber sie sah keine Veranlassung dazu. Der Gegenstand in der Erde reichte noch tiefer hinab.
    Peter winselte.
    Anderson sah sich zu dem Hund um, und stand dann
auf. Beide Knie gaben nach. In ihrem linken Fuß kribbelte es. Sie fischte die Taschenuhr aus ihrer Hosentasche – die alte, verschrammte Simon-Uhr war gleichfalls ein Erbstück von Onkel Frank – und stellte erstaunt fest, dass sie schon lange hier war: mindestens eineinviertel Stunden. Es war bereits nach vier.
    »Komm, Peter«, sagte sie. »Lass uns die Biege machen.«
    Peter winselte wieder, bewegte sich aber nicht. Und nun sah Anderson mit echter Sorge, dass der alte Beagle am ganzen Körper zitterte, als hätte er Schüttelfrost. Sie hatte keine Ahnung, ob Hunde Schüttelfrost bekommen konnten, hielt es aber bei alten für möglich. Sie erinnerte sich, das einzige Mal, dass sie Peter so zittern gesehen hatte, war im Herbst 1977 gewesen (vielleicht auch 1978). Damals war ein Puma in der Gegend gewesen. Vielleicht neun Nächte hindurch hatte er geschrien und gekreischt, wahrscheinlich wegen unerfüllter Brunft. Peter war in jeder Nacht zum Wohnzimmerfenster gegangen und auf die alte Kirchenbank gesprungen, die Anderson beim Bücherregal stehen hatte. Er hatte nie gebellt. Er hatte lediglich ins Dunkel hinausgeschaut, in die Richtung, aus der die unirdischen, weibischen Schreie kamen, hatte die Ohren gespitzt, seine Nüstern hatten gebebt. Und er hatte gezittert.
    Anderson schritt über die kleine Grabung und ging zu Peter. Sie kniete nieder und strich mit den Händen über Peters Gesicht, spürte sein Zittern in den Handflächen.
    »Was ist los, Junge?« murmelte sie, aber sie wusste, was los war. Peters gesundes Auge sah an ihr vorbei, zu dem Ding in der Erde, dann wieder zu Anderson. Das Flehen in dem nicht von dem grässlichen, milchigen grauen Star überzogenen Auge war so deutlich wie Worte: Lass uns von hier verschwinden, Bobbi, ich mag dieses Ding dort genauso wenig, wie ich deine Schwester mag.

    »Okay«, sagte Anderson unbehaglich. Plötzlich dachte sie daran, dass sie sich nicht erinnern konnte, hier draußen jemals so die Zeit vergessen zu haben wie heute.
    Peter mag es nicht. Ich auch nicht.
    »Komm schon.« Sie ging den Hang hinauf zum Weg. Peter folgte eilfertig.
    Sie waren fast wieder auf dem Weg, als Anderson, wie Lots Frau, sich noch einmal umdrehte. Wäre dieser letzte Blick nicht gewesen, hätte sie die ganze Sache vielleicht sein lassen. Seit sie das College vor der Abschlussprüfung verlassen hatte – trotz des tränenreichen Flehens ihrer Mutter und der wütenden Hetzreden und elenden Ultimaten ihrer Schwester –, war sie gut darin geworden, Dinge sein zu lassen.
    Der Blick zurück aus dieser mittleren Entfernung zeigte ihr zweierlei. Zunächst einmal, dass das Ding nicht in die Erde zurücksank, wie sie erst gedacht hatte. Die Metallzunge ragte mitten aus einer recht frischen Abschwemmung hervor, die nicht breit, aber einigermaßen tief war und sicherlich von der Schneeschmelze und den auf sie folgenden heftigen Frühlingsregenfällen herrührte. Der Boden zu beiden Seiten des vorstehenden Metalls war also höher, und das Metall verschwand einfach darin. Ihr erster Eindruck, dass das Ding im Boden entweder rund oder der Rand von etwas war, war nicht zutreffend – oder nicht notwendigerweise zutreffend. Zweitens, es sah wie eine Platte aus – nicht wie eine Servierplatte, sondern wie eine stumpfe Metallplatte, eine Metallverkleidung oder …
    Peter bellte.
    »Okay«, sagte Anderson. »Ich hab schon verstanden. Gehen wir.«
    Gehen wir … und vergessen wir es.
    Sie ging auf der Mitte des Weges und überließ es Peter,
sein eigenes, gemächliches Tempo für den Rückweg zur Straße anzugeben, genoss das üppige Grün des Sommers … War heute nicht der erste Sommertag? Sonnenwende. Der längste Tag des Jahres. Sie klatschte auf eine Stechmücke und lächelte. Der Sommer war eine schöne Zeit in Haven. Die schönste Zeit. Und wenn Haven, oberhalb von Augusta in jenem zentralen Teil des Staates gelegen, den die meisten Touristen mieden, vielleicht auch nicht der beste Ort war, so war es doch ein guter Ort, um zur Ruhe zu kommen. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte Anderson aufrichtig gedacht, dass sie nur ein oder zwei Jahre hier sein würde, lange genug,

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