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Das Mordkreuz

Das Mordkreuz

Titel: Das Mordkreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Rausch
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folgte das Schwimmen über die tiefen Stellen des Teichs hinweg. Obwohl sich meine Schwester mit den Schwimmbewegungen noch schwertat, konnte sie sich auf meine Hilfe verlassen. An meiner Seite musste sie sich vor nichts fürchten.
    Zeit bedeutete uns nichts. Erst als die Schatten länger wurden, mussten wir uns sputen, um das Abendessen nicht zu verpassen. Mutter war darin heikel. Einmal am Tag sollte die Familie gemeinsam essen. Ausnahmen duldete sie nicht.
    Eine letzte Teichüberquerung sollte es werden, und dem Sieger winkte die Nachspeise des Verlierers. Wir sprangenauf drei ins Wasser, und jeder gab sein Bestes. Obwohl ich überlegen war, wich ich ihr nicht von der Seite. Nur auf den letzten Metern würde ich es entscheiden. Das Ufer war in Reichweite, als ich eine Stimme aus einer längst vergessen geglaubten Zeit wiedererkannte. Sie kam auf uns zu, weinte und schluchzte, wie ich es bei Großmutter erlebt hatte. Doch dieses Mal war etwas anders. Die Weiße Frau hielt die Arme weit nach vorn ausgestreckt, als wolle sie uns vom Ufer fernhalten.
    In diesem Moment erinnerte ich mich der Worte meiner Großmutter.
Begegne ihr mit Respekt.
Für mich hieß das, auf ihr Drängen einzugehen und nicht ans Ufer zu schwimmen. Meiner Schwester hatte ich zwar von der Weißen Frau erzählt, doch ob sie sich auch an die Bitte meiner Großmutter erinnerte?
    Sie tat es nicht und schwamm, von Panik ergriffen und so schnell es ihre erschöpften Arme erlaubten, in Richtung Ufer. Ich schrie ihr nach, zurückzukommen. Sie hörte nicht auf mich.
    Als ihre Leiche geborgen wurde, war mir klar, dass die Worte meiner Großmutter mir das Leben gerettet hatten. Ich war nicht ans Ufer geschwommen, und ich hatte mich nicht im Gestrüpp der Seerosen verfangen.
    Alles Weinen um den Verlust meiner Schwester half nicht. Noch weniger, als ich meinen Eltern den Hergang erzählen musste. Von einer Weißen Frau wollten sie nichts hören. Stattdessen hätte ich meine Schwester ertrinken lassen, ohne einen einzigen Rettungsversuch unternommen zu haben.
    Ein Jahr hielten wir es noch miteinander aus. Stets unter dem allgegenwärtigen Druck des Vorwurfs und des Unverständnisses, meiner Schwester die Hilfe verweigert zu haben.
    Ich war weder damals, noch bin ich heute verrückt. Ich habe die Weiße Frau gesehen. So wahrhaftig, wie du an einenSchöpfer des Universums und an die Liebe deiner Mutter glaubst, so unbestritten hat sie mir das Leben gerettet.
    Sie tat es, weil ich ihr glaubte, ohne zu wissen. Denn wer konnte ahnen, wenn nicht sie, dass uns am Ufer der Tod erwartete.

5
    Die mächtigen Kastanien warfen einen nahezu vollständigen Schatten auf den Biergarten der Würzburger Hofbräu. Unter den alten Bäumen ließ sich zur Mittagszeit entspannt essen, obwohl die Tische mit Seminarteilnehmern und Touristen gut besetzt waren.
    Heinlein brachte keinen Bissen hinunter. Die Bedienung musste seine Leibspeise, fränkische Bratwürste mit Kraut und einem Silvaner, unberührt abräumen. Aber auch Kilian war das Essen nicht leichtgefallen. Er wusste, was auf ihn zukam.
    «Also», begann er, «was hat der Chef gesagt?»
    «Die Überprüfung der Fliegeneier durch einen Entomologen geht in Ordnung», antwortete Heinlein geistesabwesend. «Pia schickt eine Probe in die Rechtsmedizin nach Frankfurt.»
    «Das meine ich nicht. Wie geht es mit Thomas weiter?»
    Heinlein seufzte. «Der Chef besteht auf eine vorbehaltlose Aufklärung. Der tote Junge war erst sechzehn Jahre alt.»
    «Schon klar.»
    «Ich werde natürlich die Finger davon lassen. Der Chef wollte den Fall rausgeben, damit niemand auf die Idee kommt, da würde was vertuscht. Ich habe ihn darauf hingewiesen, dass wir noch nicht wissen, ob die beiden Todesfälle miteinander in Verbindung stehen.»
    «Eine mutige These.»
    Heinlein brauste auf. «Was hätte ich denn sonst sagen sollen? Glaubst du, ich lass jemand anderen an meinen Jungen ran?»
    «Beruhige dich. Ich wollte nur wissen, wie der Chef entschieden hat.»
    Nur mit Mühe konnte sich Heinlein beherrschen. «Ich übernehme den Zinnhobel, sofern er es tatsächlich ist, und du kümmerst dich um den toten Jungen. Du bist in dieser Sache allein dem Chef verantwortlich. Ich bin außen vor. So steht’s auch in der Pressemitteilung.»
    «Wo ist Thomas jetzt?»
    «Zu Hause. Er pennt sich aus. Claudia und Vera sind bei ihm.»
    «Dann nehm ich mir erst mal die anderen Jungs vor. Morgen komm ich bei euch vorbei und sprech mit Thomas.»
    «Nein, es läuft

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