Das Mozart-Mysterium
gerötete Wangen ließen seine Augen erregt strahlen; eine Mischung aus Freude und Not spiegelte sich in ihnen. »Es ist eine Qual! So gerne würde ich diesem erlesenen Kreis von Gelehrten angehören; der Erzbischof käme nicht umhin, mir endlich eine bessere und gebührende Position am Hofe anzubieten als die des Kapellmeisters. Aber dafür muss ich die Prüfung Mizlers bestehen und alle Rätsel lösen, die zu den Verstecken führen! Und dazu noch ein eigenes musikalisches Werk einreichen, als Beweis meiner Fähigkeiten. Wie soll ich denn dies alles gleichzeitig vollbringen? Ich habe nur wenige Tage Zeit, sonst wird an meiner Stelle ein anderer zum Kandidaten erwählt! Vor allem plagt mich jedoch der Gedanke, dass erst letztes Jahr das Gerücht umging, ein bekannter deutscher Organist, der plötzlich verstarb, sei ein Anwärter auf die Mitgliedschaft in der Mizler’schen Societät gewesen und barbarisch gefoltert und gemeuchelt worden.«
Ohne zu zögern, sagte ich ihm meine Hilfe zu.
Memento mori
20. Oktober
Am nächsten Morgen wachte ich erst spät auf und traf Mozart nicht mehr am Frühstückstisch an. Ich aß nur rasch eine Scheibe Brot und machte mich dann auf die Suche nach dem Maestro. In seinem Arbeitszimmer fand ich ihn, er saß an seinem Schreibtisch. Als ich eintrat, schrak er auf, als hätte ich ihn aus einem Tagtraum gerissen. »David!«
»Bitte entschuldigen Sie mein spätes Aufstehen.«
»Es war eine lange Nacht. Setzen Sie sich.«
Er rückte mir einen Hocker an seinen großen Schreibtisch, der überquoll von Bücherstapeln, Federhaltern, Notenpapier und allerlei technischen Geräten verschiedenster Art. Auf der einen Seite befand sich ein rechtes Kuriositätenkabinett von versteinerten Schnecken, Kristallen und sogar einem ausgestopften Eichhörnchen, das mich düster und drohend aus schwarzen Glasaugen anblickte. Vor all dem stand ein kompliziertes technisches Gerät mit einer senkrechten Metallröhre, die auf eine Glasplatte zeigte. Mozart hatte mir bereits dessen Funktion demonstriert: An der verstellbaren Röhre konnte man geschliffene Glaslinsen befestigen, sodass der Blick von oben hindurch auf ein Objekt die unwahrscheinlichsten Anblicke bot und die kleinsten und einfachsten Dinge, wie das Blatt eines Baumes, zu Kunstwerken wurden.
Auch befanden sich ein goldfarbener Zirkel und ein gewinkeltes Lineal in einer Ecke des Schreibtisches (wobei diese beiden Gegenstände so unverbraucht aussahen, als ob sie nie wirklich benutzt würden).
In der Mitte des Zimmers stand ein schwerer, hölzerner Notenständer mit zahlreichen Notenblättern. Auf einem Tisch daneben lag, braungelb schimmernd, eine der edlen Violinen Mozarts in ihrem geöffneten Behältnis.
Mozart saß vor dem Brief Mizlers, den er gestern Abend erhalten hatte, und zeigte darauf: »Was ich einfach nicht verstehe: Wenn er mich als Mitglied möchte, weshalb muss er mir dann eine solche Aufgabe stellen, die nahezu unlösbar ist? Schauen Sie selbst!«
Er schob mir den Brief herüber, sodass ich ihn erneut und nun in Ruhe lesen konnte:
›An Leopold Mozart,
Violinist und Compositeur der bischöflichen Hofkapelle
zu Salzburg.
Herr Mozart,
mit diesem Schreiben laden wir, die Correspondierende Societät der musicalischen Wissenschaften , Sie ein, sich um die Aufnahme in unserer Gesellschaft zu bewerben. Wie Ihnen vermutlich bekannt geworden ist, sind die Mitglieder unserer Societät diejenigen Musiker und Gelehrten der Musik, die sich durch ihre Fähigkeiten auf diesen Gebieten über alle anderen in der Welt erheben und die zugleich das allbeherrschende Prinzip der Vernunft und Arithmetik in der Musik erkennen.
Im Folgenden teilen wir Ihnen mit, wie Sie ein Mitglied unserer Gesellschaft werden können: Es sind derer drei Aufgaben zu lösen:
I.
Es ist der Societät ein schriftlicher Beweis des eigenen Könnens vorzulegen; hierzu ist Ihre Schule des Violinspiels geeignet.
II.
Es sind als Nachweis Ihrer Geisteskraft die an geheimen Orten verborgenen, schriftlichen Mitgliedsgaben aller unserer Mitglieder aufzufinden. Es handelt sich bei den Gaben meist um musikalische Werke oder wissenschaftliche Schriften, die unsere Mitglieder als Beweis ihrer Fähigkeiten vorgelegt haben. Die Verstecke werden Ihnen durch verschlüsselte Beschreibungen mitgeteilt; der erste Ort wird sogleich genannt, weitere Hinweise finden Sie bei den Mitgliedsgaben in Form von Rätseln.
III.
Als wichtigster Teil Ihrer schriftlichen
Weitere Kostenlose Bücher