Das München-Komplott
Krankenhäusern und Kreißsälen, die selbst Handystrahlung absorbieren, aber gegen die dünne Schutzschicht von Mutterleib und Plazenta, die durchlässig ist für Sauerstoff und anderes, da versagen diese kosmischen Energien. Wer glaubt denn so was?«
Klein lebte im ersten Stock des Hauses, in dem sich auch das Basta befand. Er hatte Georg Dengler kennengelernt, als dieser vor einigen Jahren in das gleiche Haus einzog. Seitdem waren sie Nachbarn und Freunde.
Klein konnte den Blick nicht von der Frau an der Theke lassen.
Sie hatte sich ein Glas Primitivo bestellt, was ihm gefiel. Offensichtlich besaß sie auch in dieser Frage einen guten Geschmack.
Klein lebte schon lang allein. Früher einmal, und bei diesem Gedanken lächelte er still vor sich hin, hatte er eine nicht unbeträchtliche Wirkung auf Frauen gehabt. Aber er hatte sich damit abgefunden, dass dieses Kapitel für ihn abgeschlossen war. Das war nicht angenehm, aber nicht zu ändern. Die Paarungszeit war für ihn vorbei.
Um so beunruhigender war, dass diese Frau ihn so aufwühlte. Er betastete seine Brandblase unter der Nase. Sie würde sofort sehen, dass er sich die Nasenhaare mit einem Feuerzeug abgeflammt hatte – dass er überhaupt Haare in der Nase hatte. Altwerden ist nichts für Feiglinge, dachte er und bemerkte, dass er dem Gespräch seiner Freunde schon seit einiger Zeit nicht mehr folgte.
»Also, Martin, ich schau mir das jetzt nicht mehr länger an«, sagte Mario und stand auf.
Er ging hinüber zur Bar und sprach die Frau an. Er sagte etwas, was Klein nicht verstand, dann zeigte er mit einer einladenden Geste an den Tisch mit den vier Freunden. Klein verfluchte – und bewunderte ihn. Er hätte es nie gewagt, diese Frau anzusprechen. Selbst wenn er keine Brandblase unter der Nase gehabt hätte.
In diesem Augenblick vibrierte Denglers Handy, das vor ihm auf dem Tisch lag. »Unbekannte Rufnummer«, zeigte das Display an.
Sprechpuppe
Um sechs Uhr klingelte der Wecker. Eben noch war sie im Traum nackt am Rednerpult des Bundestages gestanden und hatte in die grölenden Gesichter ihrer Kollegen gesehen. Es dauerte einen Augenblick, bis sie begriff, dass es nur ein Albtraum gewesen war. Erleichtert tastete sie nach dem Wecker. Dann warf sie sich noch einmal auf den Rücken und starrte die Decke an. Nicht einmal Harald war da. Dann wäre alles leichter. Er könnte ruhig weiterschlafen, aber sie könnte sich noch mal an ihn schmiegen.
Sie lächelte.
Sie hatten sich aneinander gewöhnt. Es war nicht leicht gewesen. Vor allem für sie. Vielleicht würden sie sogar ein Kind bekommen. Sie verhütete nicht mehr, allerdings schliefen sie seit Monaten nicht miteinander. Sie war immer viel zu müde.
Schluss, dachte sie. Schluss mit diesen Gedanken.
Ich bin wieder einmal viel zu spät nach Hause gekommen. Zwei Uhr ist es wohl gewesen.
Sie schloss die Augen. Sie war so müde. Sie wollte weiterschlafen. Unbedingt. Nichts schien in diesem Augenblick wichtiger als Schlaf. Doch dann stieg aus den nebeligen Schichten ihres Unterbewusstseins die Erinnerung herauf, dass in einer halben Stunde eine hellwache Journalistin anrufen würde und sie dem Deutschlandfunk ein Interview zu geben hatte.
Stöhnend setzte sie sich auf. Ihr Kopf schmerzte. Sie hatte zu viel getrunken. Sie hatte sich vorgenommen, keinen Alkohol mehr zu trinken. Nur an den Gläsern zu nippen. Aber das war gar nicht so einfach. Gestern Abend, wo war sie da gewesen? Ihr fiel es wieder ein. In Hannover. Sie hatte auf einer Veranstaltung des Beamtenbundes in Hannover gesprochen. Auf der Rückfahrt nach Berlin hatte sie im Fond ihres Dienst-A8 nicht schlafen können. Das war ungewöhnlich. Seit sie vor vier Jahren Parlamentarische Staatssekretärin geworden war, konnte sie in jeder Situation einnicken, ein Sekundenschläfchen halten, im Auto, im Flugzeug, in nahezu jedem Transportmittel konnte sie schlafen – und sei es nur für einen Augenblick. Sehr erfrischend waren diese kleinen Pausen. Aber gestern hatte es nicht geklappt. Sie hatte gegrübelt. Über die NPD-Verbotssache. Wieder einmal. Es war erschreckend: In vier Monaten war Bundestagswahl, und sie hatte immer noch nichts erreicht.
Vier Jahre, dachte sie. Fast vier Jahre lang war sie nun schon Parlamentarische Staatssekretärin im Innenministerium.
Ich bin alt geworden in dieser Zeit, dachte sie. Und ich habe in meinem Hauptanliegen nichts erreicht.
Es war nicht sicher, ob sie nach der Wahl noch einmal Staatssekretärin werden
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