Das Multiversum 3 Ursprung
sie ins Gebäude. Am Eingang mussten sie einen Metall-und Kunststoffdetektor passieren, und dann verbrachten sie fünf unangenehme Minuten in einem kleinen Sicherheitsbüro am Rand des Gebäudes, wo sie von schwer bewaffneten Soldaten fotografiert, abgetastet und durchsucht wurden. Nemoto musste sogar die Softscreen abgeben, nachdem man den Inhalt in einen Militär-Computer geladen hatte.
Nemoto schien sich während dieser Prozedur noch tiefer in ihr Schneckenhaus zurückzuziehen.
»Nehmen Sie's nicht so schwer«, sagte Malenfant. »Die Dumpf-backen machen nur ihren Job. Es ist die Zeit, in der wir leben.«
»Das ist es nicht«, murmelte Nemoto. »Es ist dieser Ort und dieser Augenblick. Ich habe aus dem Orbit gesehen, wie das Meer Japan verwüstet hat. Ich hatte das Gefühl, mich in der Hand eines Monsters zu befinden, das unendlich stärker war als ich – ein Ungeheuer, das mit einer seelenlosen Gleichgültigkeit, der ich hilflos ausgeliefert war, über mein Schicksal, das meiner Familie und alles, was mir lieb und teuer war, verfügte. Und genauso fühle ich mich jetzt wieder. Aber da muss ich durch.«
»Sie wollen diese Reise wirklich machen, nicht wahr?«
Sie schaute ihn an. »Genau wie Sie.«
»Sie weichen meinen Fragen über Sie immer aus, Nemoto. Sie sind ein koan. Ein Rätsel.«
Sie lächelte über dieses eine japanische Wort.
Schließlich hatten sie es hinter sich, und der Adjutant führte sie in Begleitung von zwei Soldaten durch Korridore zum Oval Office im ersten Stock des Westflügels, das die Vizepräsidentin heute benutzte. Ihre offizielle Residenz, ein verschachtelter Backsteinbau an der Ecke 34. Straße und Massachusetts Avenue, galt mittlerweile als zu unsicher.
»Dann kennen Sie also Vizepräsidentin Della«, sagte Nemoto.
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»Ich habe sie gekannt, ja. Sie hatte sich schon immer für die Raumfahrt interessiert. Als Senatorin hatte sie in ein paar Auf-sichtsgremien der NASA gesessen.« Nun hatte der Präsident Della gebeten, in ihrer Eigenschaft als Vorsitzende des Weltraum-Rats die Zuständigkeit für Malenfants Projekt zu übernehmen.
»Wenn Sie eine Freundin von Ihnen ist…«, sagte Nemoto.
»Das weniger. Eher eine alte Sparringspartnerin. Wir begegnen uns mit widerwilligem gegenseitigem Respekt. Ich habe sie auch schon lang nicht mehr gesehen – und bestimmt nicht, seit sie hier eingezogen ist.«
»Glauben Sie, dass sie uns unterstützen wird?«
»Sie stammt aus Iowa. Sie ist eine gewiefte Politikerin. Und sie ist – praktisch. Aber sie hat immer schon einen etwas weiteren Horizont gehabt als die Masse. Sie glaubt, dass Investitionen in den Weltraum sich auszahlen. Aber sie orientiert sich auch an Nütz-lichkeitskriterien. Ich habe sie bei Diskussionen über Wettersatelli-ten und Erdressourcen-Programme gehört. Sie unterstützt sogar fu-turistischen Kram wie Asteroiden-Bergbau und Kraftwerke im Orbit. Durch die Auslagerung der Schwerindustrie von der Erde ins All hat diese schmutzige alte Welt vielleicht noch eine Zukunft …
Allerdings kann das alles von Robotern erledigt werden. Ich glaube nicht, dass sie für die Menschen eine Zukunft im Weltraum sieht. Die Raumstation hat sie zum Beispiel nicht unterstützt.«
»Dann müssen wir hoffen, dass sie unsre Mission zum Roten Mond unter dem Nutzenaspekt befürwortet.«
Er verzog das Gesicht. »Und ist sie nicht willig, dann brauchen wir Gewalt.«
Als sie das Oval Office betraten, ging Vizepräsidentin Maura Della gerade Unterlagen auf Softscreens durch, die in eine Tischplatte aus Walnussholz eingelegt waren. Der Tisch war an einer Schmalseite des großen Büros aufgestellt – der Raum hatte wirk-124
lich die Form eines Ovals, stellte Malenfant wie ein staunender Tourist fest.
Della blickte auf und kam um den Tisch, um sie zu begrüßen.
Die dunkle schlanke, mit einem aparten Hosenanzug bekleidete Frau war in den Sechzigern. Sie schüttelte ihnen beiden energisch die Hand und bedeutete ihnen, auf zwei grünen Chippendale-Stühlen vorm Schreibtisch Platz zu nehmen. Dann setzte sie sich wieder in ihren Wipp-Sessel.
Außer ihnen waren nur noch ein Adjutant und ein an der Tür postierter bewaffneter Soldat im Raum anwesend. Malenfant hatte eigentlich Joe Bridges und andere hohe Tiere von der NASA erwartet.
»Sie wollen mich in die Zange nehmen, nicht wahr, Malenfant?«, fragte Della ohne Umschweife.
Malenfant war baff. Das war immerhin die Vizepräsidentin. Als er das Funkeln in Dellas Augen sah, wurde er sich jedoch
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