Das Multiversum 3 Ursprung
bewusst, dass er Klartext reden musste, wenn er diese Partie gewinnen wollte. »Nicht Sie persönlich. Aber … ja, Ma'am, so lautet der Plan.«
Della tippte auf den Schreibtisch. Malenfant sah sein Bild über die Softscreen wandern, begleitet von Text-und Videoclips und dem insektenhaften Wispern einer Tonspur.
Maura Della war seit jeher für ihren geradlinigen politischen Stil bekannt. Auf Malenfant wirkte sie irgendwie verloren in der kühlen Pracht des Oval Office, wirkte auch nach drei Jahren im Amt noch deplatziert vorm Hintergrund des stahlblauen Teppichs und der beigefarbenen Wände, der vielen Alkoven mit Büchern, Ur-kunden und Zierrat, die akkurat drapiert waren wie Grabbeigaben.
Dies war jedenfalls kein Raum zum Wohlfühlen.
Ein Stein lag auf dem polierten Tisch, ein scharfkantiges Fragment mit der ungefähren Größe von Malenfants Daumen und der Farbe von Obsidian. Nein, das Fragment war kein Stein, erkannte 125
Malenfant auf den zweiten Blick. Knochen. Ein Stück aus einem Schädel vielleicht.
»Ihre Kampagne läuft nun schon seit zwei Wochen«, sagte Della.
»Sie feuern aus allen medialen Rohren. Reid Malenfant, der tragi-sche Held, der den neuen Mond ins Visier nimmt, um seine tote Frau zu bergen.« Sie fixierte ihn mit einem grausamen Blick.
»Es hat den Vorzug der Wahrheit, Ma'am«, sagte Malenfant geradeheraus. »Und sie ist vielleicht gar nicht tot. Allein darum geht es.«
Nemoto beugte sich vor. »Wenn ich etwas sagen dürfte …«
Della nickte.
»Die Resonanz der amerikanischen Öffentlichkeit auf Malenfants Kampagne ist überwältigend. Aus den aktuellen Umfragen geht hervor …«
»Dass ihr Vorhaben von der übergroßen Mehrheit unterstützt wird«, murmelte Della. Sie tippte auf die Tischplatte und schaltete die Softscreen ab. »Natürlich wird es das. Aber lassen Sie mich Ihnen eins über Umfragen sagen. An dem Tag, als die Flut los-brach, sind die Umfragewerte des Präsidenten in den Keller ge-rauscht. Und wissen Sie wieso? Weil die Leute einen Sündenbock brauchen.
Das Erscheinen eines ganzen verdammten Monds am Himmel übersteigt unser Vorstellungsvermögen. Wenn dadurch Häuser zerstört und Ernten vernichtet werden, Familienangehörige verwundet oder getötet werden, kann man nicht die Flut dafür verantwortlich machen. In früheren Zeiten hätte man Gott die Schuld daran gegeben. Und heute machen die Leute jeden dafür verantwortlich, von dem sie glauben, dass er ihnen Hilfe leisten muss – in anderen Worten, alle Regierungsstellen und vor allem dieses Büro.« Sie schüttelte den Kopf. »Deshalb gebe ich von vornherein nichts auf Umfragen. Wie auch immer ich mich entscheide, Ihre Aktion wird mir nicht helfen.«
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»Vielleicht nicht«, sagte Nemoto. »Vielleicht hilft sie aber den Menschen draußen auf der Straße. Den Menschen auf der ganzen Welt. Und das ist es doch, worüber wir hier sprechen, nicht wahr?«
Malenfant legte die Hand auf ihre. Nur mit der Ruhe.
Della schaute finster. »Sie müssen mir nicht sagen, wie ich meine Arbeit zu tun habe, junge Frau. Selbst wenn Sie recht haben«, fügte sie etwas gnädiger hinzu und schaute aus dem Fenster. »Wir brauchen, weiß Gott, mal wieder eine gute Nachricht … Sie haben von den Beben gehört.«
»Ja, Ma'am«, sagte Malenfant düster.
Das war die aktuelle Manifestation des verhängnisvollen Einflusses des Roten Monds. Luna hatte nämlich nicht nur in den Weltmeeren, sondern auch im Urgestein der Erde Gezeiten hervorgerufen. Allerdings hatten diese Gesteins-Gezeiten nur ein paar Zentimeter ausgemacht.
Doch der Rote Mond verursachte einen Tidenhub von knapp einem Meter.
Starke Erdbeben in der Türkei, Chile und andernorts waren die Folge gewesen und hatten Orte verwüstet, die schon unter den Auswirkungen der Flut gelitten hatten. In Verwerfungs-Zonen wie der San Andreas-Spalte in Kalifornien erodierte das Land über den Spalten viel schneller als früher. Das instabile Gestein darunter wurde freigelegt, wodurch es unter der Einwirkung der Gezeiten noch stärker deformiert wurde.
»Falls der Rote Mond in der Erdumlaufbahn bleibt«, sagte Della, »besteht laut Aussage der Geologen die Gefahr, dass die Verwer-fungslinien zwischen den tektonischen Platten der Erde – zum Beispiel der große Vulkanring, der den Pazifik umgibt – für konstante seismische Aktivitäten sorgen werden. Konstant. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was das für uns, für die ganze Menschheit bedeutet. Ohne Zweifel langfristige
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