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Das Multiversum Omnibus

Das Multiversum Omnibus

Titel: Das Multiversum Omnibus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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sein.«
    »Das wissen wir nicht«, sagte Mane. »Wir haben ihn nicht angelegt.«
    »Was sollen wir nun tun?«, fragte Nemoto mit belegter Stimme.
    Mane schaute sie aus großen Augen – mit schwarzen Pupillen und gelb gefleckter Iris – an. »Ich dachte, ihr wüsstet das.«
    Ja, Emma wusste es – obwohl sie nicht wusste, woher sie es wusste. Schwindelgefühl brandete wie eine prickelnde Welle gegen sie 607
    an. Malenfant, du müsstest das mit eigenen Augen sehen, sagte sie sich. Du würdest es lieben. Aber ich …
    Es blieb keine Zeit mehr, keine Zeit für Überlegungen und Zweifel. Ohne ein Wort traten die fünf von der Kante des Tunnels in die Luft.
    Für einen Moment trieben sie im All und wurden ins Licht aus dem Herzen der Welt getaucht, als wären sie Comic-Figuren, für die die Gesetze der Physik vorläufig außer Kraft gesetzt waren.
    Und dann sanken sie langsam in die Tiefe.
    Sie hatte keinen Boden unter den Füßen. Die Luft war mit Licht erfüllt.
    Gemächlich wie eine Schneeflocke fiel Emma unter dem Zug einer Kraft, die sich wie Schwerkraft anfühlte – die aber keine Schwerkraft sein konnte –, dem Mittelpunkt des Monds entgegen.
    Sie hörte kein Geräusch außer dem Rascheln der Kleidung und dem leisen Atmen der Leute, und sie roch nichts außer dem anhal-tenden metallisch-blutigen Gestank des roten Mondbodens.
    Sie sah, dass sie fiel. Linien in der Wand, die an Pegel-Markierungen erinnerten, zogen an ihr vorbei und bildeten die Beschleunigung ab. Aber es kam ihr trotzdem so vor, als ob sie hier in der glühenden Luft aufgehängt wäre; sie hatte kein Gefühl für die Geschwindigkeit, und ihr wurde trotz der Tiefe auch nicht schwindlig.
    Sie hörte das Hämmern des Herzens.
    Nemoto lachte irre.
    Emma drückte das schwarze Fellbündel fester an die Brust und bezog Trost aus der animalischen Wärme des Nussknackers. »Ich weiß verdammt noch mal nicht, was so lustig ist.«
    Nemotos Gesicht war zu einer Maske aus Angst und Verdrängung verzerrt. »Wir befinden uns nicht in den Händen eines allmächtigen, unfehlbaren Gottes. Das ist nicht mehr als eine techni-608
    sche Vorrichtung, Emma. Älter als unsre Spezies, vielleicht auch älter als manche Welten und sehr fortschrittlich – aber eben auch sehr alt, verschlissen und vielleicht sogar störanfällig. Und wir vertrauen ihm unser Leben an. Das finde ich so lustig.«
    Sie beschleunigten stark.
    Nach wenigen Sekunden, so schien es, hatten sie bereits die fein strukturierten Schichten der Kruste des Roten Monds passiert.
    Nun zogen sie an riesigen Gesteinsbrocken vorbei, die wie Kadaver vergrabener Tiere sich hinter der glasigen, transparenten Tunnel-wand drängten.
    »Der Megaregolith«, murmelte Nemoto. »In den späteren Phasen ihrer Entstehung muss diese kleine Welt wie unser Mond bombardiert worden sein. Unter der Oberflächengeologie, den Kratern und Spalten, findet man das hier. Pulverisiertes und zerbröseltes Gestein auf einer Strecke von vielen Kilometern. Wir befinden uns schon tief unterhalb der Marke, bis zu der die tiefsten Bergwerks-schächte der Menschen sich erstreckt haben, Emma. Wir sinken wahrhaftig in den Leib dieser Welt.«
    Mane schaute sie neugierig und nachdenklich zugleich an. »Du bist analytisch. Du suchst gern Namen aus für das, was du siehst.«
    »Das dient dem besseren Verständnis«, sagte Nemoto gepresst.
    Das Material hinter der Wand wurde glatt und grau. Das muss Urgestein sein, sagte Emma sich, das nicht einmal von den großen urzeitlichen Einschlagkörpern in Mitleidenschaft gezogen wurde.
    Im Gegensatz zur Erde hatte es auf dieser kleinen Welt nie tektonische Aktivitäten gegeben, und es war kein Gestein von der Oberfläche ins Innere transportiert worden; diese Gesteinsschichten hatten wahrscheinlich seit der Entstehung des Roten Monds im Ruhe-zustand verharrt.
    Sie mussten schon viele Meilen tief sein.
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    Trotz der ansteigenden Temperaturen im Tunnel und der durch die Beschleunigung verursachten Wärme überkam sie ein Gefühl der Kälte, des Alters und der Ruhe.
    Sie hatte keinen Anhaltspunkt, wie lang sie sich wohl schon im freien Fall befand – es waren vielleicht Sekunden oder auch Minuten –, und vielleicht war der Fluss der Zeit hier so trügerisch wie der Raum und die Gravitation. Aber sie scheute davor zurück, auf die Uhr zu sehen oder auch nur zur schrumpfenden Scheibe aus Tageslicht aufzuschauen. Sie war nicht wie Nemoto, die allem und jedem ein Etikett aufkleben musste; sie war eher

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