Das Multiversum Omnibus
entsprang Licht, das wie ein umgekehrter Sonnenstrahl durch die staubige Luft stach.
Emma fror plötzlich.
Sie setzte sich mit dem Nussknacker-Kind ins Gras und holte ei-ne Milchflasche aus dem Rucksack. Sie öffnete die aus einem gelben kunststoffartigen Material bestehende Flasche und zog einen Nippel heraus. Dann hielt sie dem Kind die Flasche hin und stieß beruhigende Laute aus. Es packte die Pulle mit Händen und Füßen und sog kräftig am Nippel. Milch spritzte dem Kind in den Mund, ins Gesicht und auf Emma.
Emma wischte sich die Flüssigkeit vom Bauch und aus dem Gesicht. »Ich hätte mir dafür eine Schürze umbinden sollen.«
»Sie hätten das gar nicht erst tun sollen«, sagte Nemoto sauer-töpfisch. »Sie sollten das Kind lieber zu seinen Leuten zurückbringen.«
»Nussknacker adoptieren keine Waisenkinder. Das wissen Sie doch.«
Mane ragte wie ein Brocken aus schwarzem Granit vor ihnen auf. »Wir könnten es aber deichseln, dass das Kind von einer Gruppe seiner Artgenossen angenommen wird.«
»Wie denn?«, fragte Emma skeptisch.
»Emma«, sagte Nemoto, »wenn sie imstande sind, sich nur durch die Kraft der Gedanken von einer Welt auf die andere zu verset-zen, wird es den Daimonen bestimmt gelingen, ein paar halb entwickelte Affen zu überlisten.«
»Die Nussknacker sind nicht halb entwickelt«, rügte Mane sie.
»Sie haben sich nur anders entwickelt.«
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Das Kind hatte keinen Hunger mehr oder war auch nur der Flasche überdrüssig geworden. Es warf die Pulle über den Kopf. Dann berührte es die Milch, die sich im Grübchen von Emmas Kinn gesammelt hatte, öffnete den Mund und stieß in schneller Folge heisere Rufe aus. »Hah hah hah!«
»Sie lacht mich aus«, sagte Emma.
»Das wundert mich nicht«, bemerkte Nemoto.
»Ich suche fließendes Wasser und säubere uns beide.«
Julia schaute grinsend zu. »Nussknacker waschen sich nicht!«
Nemoto verzog das Gesicht. »Das ist kein Spielzeug und schon gar kein Menschenkind! Sie werden bald genauso stinken wie sie!
Emma, schminken Sie sich diese Sentimentalität ab. Geben Sie sie ihren Artgenossen zurück.« Sie schien geradezu besessen von der Sache mit dem Kind.
Emma schaute zu Manekato auf, und sie schaute in ihr eigenes Herz. »Noch nicht«, sagte sie.
Es trat ein Moment der Stille ein. In dieser lichten Weite wärmte die Sonne ihr das Gesicht, weckte die Lebensgeister und brachte die staubige Luft zum Glühen. Das Nussknacker-Kind stieß einen gurgelnden Laut aus und zupfte sie am Ärmel.
Manekato ging zur Kante des Schachts. Sie stand reglos auf dem roten Boden und schaute in den Brunnen des Monds, deren diffuses Licht sich in den Falten ihrer blauschwarzen Haut brach. Em-ma fragte sich, woran sie gerade dachte und was der Tunnel ihr sagte.
Mane drehte sich um. »Es ist Zeit.« Sie streckte die Hände aus.
Ja, sagte Emma sich. Irgendwie war es ihr auch bewusst. Sie stand auf und klopfte sich den Staub aus dem Overall. Das Nussknacker-Kind klammerte sich an Emma, ließ den missgestalteten Kopf an ihre Brust sinken und schlief sofort ein.
Nemoto erhob sich zögerlich. Emma sah, dass sie vor Angst zitterte.
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Mane fasste Emma und Nemoto an der Hand, und Julia ergriff Nemotos andere Hand. Mit dem Kind im Arm ging Emma zum Rand des Lochs.
Der Schacht zu ihren Füßen war zylindrisch und mit etwas ausgekleidet, das wie funkelndes Glas aussah – eine Wand, die sich in die Unendlichkeit erstreckte. Lampen waren alle paar Meter in die Wand eingelassen, so dass der Schacht in hellem Glanz erstrahlte wie eine Passage in einem Einkaufszentrum. Die gläserne Wand leuchtete im Widerschein vielfacher Reflexionen. Leitungen, deren Zweck unklar war, schlängelten sich durch den Schacht. Der verti-kale Schacht war absolut symmetrisch, und der Blick wurde weder durch Dunst noch durch Staub getrübt.
Emma wurde plötzlich schwindlig. Sie trat zurück und verankerte sich wieder an der Oberfläche des Roten Monds.
»Was ist das?«, fragte Nemoto.
»Das ist ein Tunnel in den Mond«, sagte Manekato ruhig.
»Aber wozu ist er gut?«
»Das wissen wir nicht.«
»Wie tief ist er?«, fragte Emma.
»Das wissen wir genauso wenig«, sagte Manekato. »Wir haben versucht …« – sie zögerte –, »Funksignale und andere Emissionen in den Tunnel zu senden. Wir haben aber kein Echo bekommen.«
»Aber er kann nicht länger als der Monddurchmesser sein«, sagte Emma. »Selbst wenn er auf der anderen Seite herauskäme … er kann unmöglich länger
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