Das Multiversum Omnibus
obwohl sie vielleicht auf Leben gestoßen sind.«
»Und dann erloschen die Sterne.«
»Und die Sterne erloschen. Es gibt aber Mittel und Wege, die Dunkelheit zu überleben, Emma. Man vermag beispielsweise die Gravitationsquellen Schwarzer Löcher anzuzapfen, um Energie zu gewinnen … Als das Universum aber unerbittlich schrumpfte und die Energiereserven schwanden, triumphierte die kalte Logik der Entropie. Das Leben geriet zur Qual in einem energieentleerten 630
Universum, das einem Gefängnis glich. Die Alten ließen ihr Schicksal der Einsamkeit, die sich in einen langen, harten Überlebenskampf verwandelt hatte, Revue passieren, und schließlich lehnten ein paar von ihnen sich dagegen auf.«
Das Kind krabbelte über Manekatos massigen Schädel und han-gelte sich dann an der Brust hinab, wobei es sich an Haarbüscheln festhielt. Anschließend rollte es sich im Schoss des Daimonen zusammen, schiss herzhaft und schlief alsbald ein. Emma unterdrückte einen Anflug von Eifersucht, weil es nicht ihr Schoß war.
»Dann haben sie also aufbegehrt. Und wie?«
Nemoto seufzte. »Es hat mit Quantenmechanik zu tun, Emma.«
»Das hatte ich schon befürchtet.«
»Jedes Quantenereignis«, sagte Manekato, »manifestiert sich in der Realität als das Ergebnis einer Rückkopplungs-Schleife zwischen Vergangenheit und Zukunft. Ein Handschlag durch die Zeit.
Die Geschichte der Universen gleicht einem Flickenteppich, der von Myriaden solch winziger Handschläge gewoben wurde. Wenn man eine künstliche zeitgleiche Schleife zu irgendeinem Punkt in der Raumzeit innerhalb des negativen Lichtkegels der Gegenwart erzeugt …«
»Wahnsinn. Klartext bitte.«
Manekato schaute irritiert.
»Wenn man in der Zeit zurückginge und die Vergangenheit zu verändern versuchte«, sagte Nemoto, »würde man das Universum beschädigen und eine Abfolge zusammenhängender Ereignisse lö-
schen. Klar? Also wird das Universum zu dem Punkt zurückge-setzt, an dem die verbotene Schleife erzeugt worden wäre. Weil die Auswirkungen dieser Veränderung sich durch Raum und Zeit fort-pflanzen, nimmt das Universum eine neue Gestalt an – Transaktion um Transaktion, Handschlag um Handschlag. Das verwundete Universum heilt sich mit einer neuen Menge von Handschlägen 631
selbst und arbeitet sich in der Zeit vor, bis es wieder vollständig und in sich logisch geschlossen ist.«
Emma versuchte das zu verstehen. »Sie wollen mir also sagen, dass es möglich sei, den Lauf der Geschichte zu ändern.«
»O ja«, sagte Nemoto. »Die Alten müssen zu der Ansicht gelangt sein, dass sie die falsche Geschichte durchlebt hatten. Also griffen sie bis zur tiefsten Vergangenheit aus und nahmen die gewünschte Änderung vor – und das Multiversum wurde geboren.«
Emma glaubte zu verstehen. Dann war das also der Sinn des Lebens, den die Alten gefunden hatten. Keine Saga eines bedeutungs-losen Überlebens in einer Zukunft des Zerfalls und der Finsternis.
Die Alten waren zurückgegangen, zurück in der Zeit, zurück zum Anbeginn der Zeit und hatten es gerichtet, indem sie infinite Möglichkeiten für Leben und Bewusstsein eröffneten.
»Ich habe mich immer gefragt, ob das Leben überhaupt eine Bedeutung hat«, sagte sie nachdenklich. »Nun weiß ich es. Der Zweck der allerersten Intelligenz bestand darin, das Universum neu zu gestalten und einen Sturm des Bewusstseins zu entfachen.«
»Ja«, sagte Manekato. »Das ist zwar nur ein partielles Verständnis, aber – nun gut.«
»Meine Güte«, sagte Emma.
Nemoto schien vor Erschöpfung zu zittern. »Ich habe das Ge-fühl, durch ein Nadelöhr in die Sonne zu schauen; ich habe so lange dorthin geschaut, dass ich mir ein Loch in die Netzhaut gebrannt habe. Und dabei gibt es noch so viel zu sehen.«
»Du hast deine Sache gut gemacht«, sagte Manekato sanft.
»Kriege ich jetzt noch eine Banane?«, knurrte Nemoto.
»Wir müssen alle unser Bestes geben.« Manekato streichelte mit ihrer Pranke abwesend den Nussknacker; das Kind schnurrte wie eine Katze.
»Aber«, sagte Emma, »die Alten müssen bei diesem Prozess doch auch ihre eigene Geschichte gelöscht haben. Nicht wahr? Sie haben 632
ein Zeit-Paradoxon verursacht. Die Folgen von Zeit-Paradoxa sind doch hinlänglich bekannt. Wenn man seine Großmutter um-bringt, existiert man nicht mehr, nachdem das Universum sich re-pariert hat …«
»Vielleicht auch nicht«, murmelte Manekato. »Es scheint, dass intelligentes Leben den Übergang in irgendeiner Form zu überstehen
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