Das Mysterium der Zeit
wechselten die Marschrichtung und machten uns wieder daran, die Umgebung auf Wild abzusuchen.
So verging eine gute halbe Stunde, in der unsere Hoffnungen schwanden. Schmackhafte Vögel waren nicht zu sehen, von wilden Ziegen und Kaninchen keine Spur, ganz zu schweigen von den gefürchteten Wildschweinen.
»Verflixt, sollen wir etwa mit leeren Händen zurückkehren?«, fragte sich Naudé, als läge der glückliche Ausgang der Jagd ihm mehr als alles andere am Herzen.
Schon drohte Enttäuschung die Oberhand zu gewinnen, da sahen wir dich plötzlich den Zeigefinger auf die Lippen legen, um uns zum Schweigen aufzufordern.
Es waren zwei schöne Wildkatzen von beträchtlicher Größe, eine rot, die andere grau. Auch sie waren auf der Pirsch.
Ich blickte zu Naudé hinüber und forderte ihn mit einer Handbewegung auf, als Erster zu schießen, doch er sah mich nur hilflos an.
Das hatte ich erwartet. Ich lud, zielte und schoss.
»Ihr müsst wissen, Monsire Naudé«, sagte ich, während ich die beiden Tiere häutete und von den Patronen säuberte, »manchmal ist es wichtiger, was man zu essen glaubt, als was man wirklich isst. Nun, wenn Ihr keine Einwände habt, sollen unsere Freunde in der Torre Vecchia heute meinen, dass ihnen außer den Hühnern zwei köstliche Hasen aufgetischt werden. Glaubt mir, oft sieht auch der erfahrenste Jäger den Unterschied nicht. Vorzüglich dann nicht, wenn der Hunger zu stark ist. Was meint Ihr?«
»Ich habe nichts dagegen, Signor Secretarius, durchaus nicht«, antwortete Mazarins Bibliothekar bedrückt und gedemütigt.
Nachdem wir unter allgemeinem Jubel in die Festung zurückgekehrt waren, sollten die »Hasen« und Vögel über dem von Guyetus und Schoppe entfachten Feuer schön braun geröstet werden. Wir brauchten jedoch einen eisernen Spieß, auf den wir die lieben Tierchen stecken konnten.
|227| DISKURS XXXV
Darin ein sonderbares Papier mit Aufzeichnungen gefunden wird und man Bekanntschaft mit dem berühmten Lykurg macht.
Bald brannte das Feuer lustig und schien förmlich danach zu verlangen, etwas braten zu können. Also schwärmten wir in alle Richtungen aus, die einen in den Turm, die anderen in die Festungsgebäude, um etwas wie einen Spieß zu finden, das dieser Aufgabe gewachsen war. Malagigi und ich erforschten die Treppen des Turms nebst den dazugehörigen Gängen, wo wir uns durch einen Wald von Spinnweben kämpfen und über Rattendreck laufen mussten. Ausgerechnet in einer solchen Pfütze glitt ich unglücklich aus und verstauchte mir den Knöchel. Um ihn massieren zu können und eine Schwellung zu verhindern, musste ich mir einen Schuh ausziehen, doch dieser rollte unglücklicherweise die Treppe hinunter.
Malagigi erbot sich, den Schuh zu holen.
Als er wieder an meiner Seite war, hielt er außer dem Schuh noch etwas anderes in der Hand.
»Seht her, das ist wirklich lustig!«, rief er amüsiert aus, »vielleicht haben wir hier eine weitere unschätzbar wertvolle Reliquie für unsere Gelehrten!«
Er reichte mir ein Papier, doch die Handschrift unterschied sich stark von dem kostbaren Petronius, den wir vor kurzem im Erdgeschoss gefunden hatten.
»Wo habt Ihr das entdeckt?«
»Auf dem Boden.«
Ich betrachtete das Blatt. »Es ist gar nicht so schmutzig.«
»Es lag halb versteckt unter leeren Säcken«, sagte Malagigi, »vielleicht wurde es dort vor dem Staub geschützt.«
Ich hielt mir das Dokument vor die Augen, und während man hörte, dass unten die Vorbereitungen für das Braten der Hühnchen schon in vollem Gange waren, las ich:
Leben des Lykurg: Seneca, Plutarch und Aelianus. In der Republik Sparta verordnete der große Lykurg ein generelles Gemeinschaftsleben, sodass alle öffentlich an einem Ort aßen. Die Mädchen ließ er nackt mit den Knaben kämpfen, doch Ehebruch war unbekannt. Den Kindern erlaubte |228| er das Stehlen als Übung, er verordnete allen den Müßiggang, verbot jede Art Gold- und Silbermünzen und führte dicke, schwere Münzen aus Eisen ein. Er befahl, dass der First von Häusern nur mit der Axt und die Türen nur mit der Säge bearbeitet werden sollten. Lykurg war außerdem der erste Urheber der kurzen, prägnanten Sprechweise, welche später allgemein lakonisch genannt wurde.
Mit der Chiffre der Namen vergleichen.
Pasqualini und ich warfen uns einen Blick zu – wir ahnten bereits, welch lebhafte Diskussionen dieses Dokument ungewissen Ursprungs wieder zwischen unseren leicht erregbaren Literaten entfachen würde.
Im
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