Das Mysterium der Zeit
Erdgeschoss angekommen, empfing uns an der gedeckten Tafel ein köstlicher Duft nach saftigem Geflügel, vermischt mit dem Geruch leicht versengter Federn und dem Zischen des in die Flammen tropfenden Fettes. Die Barbaresken hatten im Erdgeschoss, ausgerechnet in der Kiste, aus welcher die Handschrift des Petronius hervorgekommen war, eine lange Gabel für Bratfleisch gefunden. Wahrscheinlich hatte der Raum einst als Küche gedient. Der Reihe nach dicht mit den Hühnern bestückt, hatte die Gabel ihre Funktion als Bratspieß bestens erfüllt, und das Garen war bereits in vollem Gang.
Als Malagigi, das Papier schwenkend, eintrat, zog er alle Aufmerksamkeit auf sich. Sofort umringte ihn die ganze Schar, außer den schläfrigen Barbaresken, und bat um Erklärungen.
»Wer hat das gefunden?«, rief Schoppe und riss ihm das Fundstück fast aus der Hand.
»Ich«, antwortete Malagigi und berichtete, wie es zu dem glücklichen Fund gekommen war.
Niemand wagte es, den ungewöhnlichen Zufall zu kommentieren: mein Begleiter, der in meiner Gegenwart das Papier nicht sieht, um es dann, kaum ist er allein, unter alten Säcken zu entdecken. Und sicher hatten alle, mich eingeschlossen, schweigend registriert, dass beide Funde dieses Tages, Petronius und Lykurg, Marcantonio Pasqualini, genannt Malagigi, zuzuschreiben waren.
»Kardinal Barberini, mein Herr, sagt immer, ich sei zu neugierig, jedenfalls schreibt er das in seinem Tagebuch«, lachte Malagigi, der versuchte, die Gruppe aufzuheitern, nachdem er ihre forschenden Blicke bemerkt hatte.
|229| Ein allgemeines Gelächter zerstreute die Bedenken. Auch du lächeltest, doch dein Blick lag nachdenklich auf deinem Lehrer Malagigi, und du bliebst stumm.
Nun entbrannte sofort eine Diskussion über den Inhalt des Blattes, und zwar darüber, ob Lykurg mit dem Schatz des Philos Ptetès zu tun haben könnte oder nicht. Lykurg war der weise, gestrenge Regent des antiken Sparta gewesen, des großen Rivalen von Athen, und als solcher war er von einigen berühmten Autoren der klassischen Zeit verherrlicht worden: von Plutarch an erster Stelle, dann von Aelianus und Seneca, wie auf dem Papier vermerkt war. In der kurzen Notiz wurden einige seiner berühmten Reformen erwähnt: Aufteilung der Reichtümer zu gleichen Teilen unter alle Bürger, eiserne Disziplin, unerbittliche Kontrolle des öffentlichen und privaten Lebens. Die Handschrift wirkte flüssig, gewiss war sie nicht so alt wie die mit dem Text des Petronius. Kurz, es handelte sich um eine Handschrift undefinierbaren Ursprungs, vielleicht war sie gänzlich unbedeutend. Das einzige bemerkenswerte Detail: der Inhalt betraf eine berühmte Gestalt des griechisch-römischen Altertums.
»Das ist doch wirklich sonderbar!«, rief Schoppe aus, der kerzengrade vor dem Feuer stand und das Papier unablässig hin und her drehte, als wäre es in einer unverständlichen Geheimschrift verfasst. »Sind wir denn hier im Marionettentheater? In dieser Festung taucht an jeder Ecke irgendeine anonyme Botschaft auf. Und dann diese Albernheit am Schluss: ›Mit der Chiffre der Namen vergleichen.‹ Was soll das sein, ein Rätsel?«
»Gestattet mir eine Korrektur«, erwiderte Hardouin, während er sich an Schoppe drängte, um einen Blick zu erhaschen. »Eine anonyme Botschaft ist nur das hier. Die Herkunft des Petronius kennen wir genau. Freilich muss man zugeben, dass es unglaublich ist, wie hier überall Dokumente und zumal so unterschiedliche verstreut wurden.«
»Unglaublich? Das ist doch klar: hier geht das Gespenst von Philos Ptetès um!«, lachte Guyetus mit einer skeptischen Grimasse, während er hingebungsvoll das Wildbret über den Flammen drehte.
»Wer ist eigentlich dieser Mönch Philos Ptetès? Ich meine, warum ereifert ihr euch seinetwegen so sehr? Was hat er denn Wichtiges vollbracht?«, fragte der Statthalter von Ali Ferrarese mit der ein wenig verdrossenen Miene des Menschen, für den alles, was mit dem geschriebenen Wort zu tun hat, langweilig und wertlos ist.
|230| »Etwas wirklich Wichtiges hat er nicht getan«, informierte ihn Guyetus in überheblichem Ton, als spräche er zu einem ungezogenen kleinen Jungen. »Wichtig sind die Schriften, die er besitzt.«
»Meint Ihr Papier, also Blätter Papier, Seiten, Bücher, all dies Zeug? Für wen sind die denn wichtig?«
»Für jeden natürlich!«, stieß Schoppe verärgert über die laienhafte Frage hervor. »Wer dieser Schätze habhaft wird, der sitzt auf einer Goldader. Es handelt
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